Eine Frage der Haltung

Eine Frage der Haltung

VON Andreas Schlamm

Von Veröffentlicht am: 16. Mai 2025Kategorien: Alle, Gottesdienste470 Wörter2,4 min LesezeitAufrufe: 42Schlagwörter: , , , ,

„Abendmahl für alle! Wir stellen Brot und Butter. Ihr bringt den Rest.“ Eine Einladung, mit Kreide auf eine Schiefertafel geschrieben, vor einem Eckhaus in Berlin. Ich bin gespannt, was mich erwartet.

Ein lauer Frühlingsabend mitten in der Woche. Sven und Elke haben auf dem Bürgersteig eine lange Tafel aufgebaut. Kein Stuhl gleicht dem anderen. Das Geschirr ist genauso bunt. Trotzdem ist es ein ästhetischer Anblick. Langsam trudeln die ersten Gäste ein und werden herzlich begrüßt – egal, ob sie erstmals dabei sind oder Wiederholungstäter. Sie haben Zutaten für einen Salat dabei, selbstgemachte Aufstriche oder eine Flasche Wein. Selbst Passanten, die zufällig vorbeikommen, nehmen neugierig Platz. Eine Zufallsgemeinschaft entsteht.

Gemeinde ganz anders

Der Gastgeber ist ein Herzensmensch, mit einer besonderen Gabe in einer kurzen Dinner Speech Wesentliches zur Sprache zu bringen und darin das Evangelium und seinen Glauben aufleuchten zu lassen. Seine Art und Weise Gastfreundschaft zu leben, macht es den Menschen leicht mit ihren zumeist fremden Tischnachbarn über das Gesagte ins Gespräch zu kommen und über das, was ihnen selbst am Herzen liegt. Nichts deutet auf Kirche hin – dennoch fühlt es sich an wie ein heiliger Raum; eine situative Form von ´Gemeinde`. Eine PopUp-Church, wenn man so will, perfekt verschmolzen mit dem Kontext.

Nichts deutet auf Kirche hin – dennoch fühlt es sich an wie ein heiliger Raum.

Waren so womöglich die Gottesdienste der ersten Christinnen und Christen, von denen die Apostelgeschichte berichtet, in ihren Häusern und sozialen Netzwerken? Lange bevor sich erste Formen einer organisierten Kirche herauskristallisierten? Ich ahne, dass uns der Blick zurück zu den Anfängen der christlichen Kirche für die kommende Zeit, die von größerer Säkularität geprägt sein wird und in der sich die kirchlichen Strukturen weiter ausdünnen werden, inspirieren kann. Natürlich sprengt dieser ´Tisch-Gottesdienst` an jenem Abend unter dem Himmel über Berlin klassische Vorstellungen von Gottesdienst. Er irritiert und hinterfragt unsere selbstverständlichen Leitbilder, und ist genau deshalb geeignet als Opener für diese 3E-Ausgabe, in der verschiedene Autor*innen nach der Zukunft des Gottesdienstes fragen.

Veränderte Lebenskultur braucht verändert Gottesdienstkultur

Welche Auswirkungen hat es auf die Gottesdienstkultur, wenn sich zukünftig die gewohnte pfarramtliche Versorgung immer weniger aufrechterhalten lässt? Ist das bedrohlich oder stecken darin vielleicht auch Chancen? Welche Weichenstellungen sind heute notwendig, um Gemeinden Lust zu machen und zu befähigen, mehr Verantwortung für das geistliche Leben vor Ort zu übernehmen – auch in Abwesenheit von Pfarrpersonen? Gewiss entstehen dann kleinere, leichtere Formen. Die Beiträge lenken den Blick über den Gottesdienst als Veranstaltung hinaus zu einer gottesdienstlichen Haltung, die das ganze Leben bestimmt. Sie weiten den Horizont dafür, wie Gottesdienst gehen kann, wenn sich Kirche aus ihren vertrauten Räumen und Formen hinauswagt.

Foto: Knut Burmeister

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