Erweckung, Wachstum, neue Menschen!? – Nein, Danke!
Erweckung, Wachstum, neue Menschen!? – Nein, Danke!
VON Erik Reppel
Sind wir wirklich bereit für mehr Menschen in unseren Kirchen? Wollen wir wirklich Menschen erreichen oder reden wir nur gerne darüber?
Manchmal stelle mir vor, was passieren würde, wenn sich sonntags noch vor dem Einlass meterlange Schlangen bilden würden, um einen Platz in den Kirchen erhaschen zu können. Was würde das mit einer Gemeinde und deren Mitgliedern machen? Wäre es ein Segen für die, die schon vorher da waren, wäre es wirklich eine Gebetserhörung oder doch eine Prüfung?
Eine Frage, die uns bewegt
Leere Kirchenbänke und leere Gemeindestühle sind alltäglich geworden in Deutschland. Viele Menschen kennen noch von früher eine andere Realität. Andere, wie ich, sind darüber traurig, dass volle Kirchen keine Normalität mehr ist. Warum spricht der Glaube Menschen nicht mehr an, hat sich die Botschaft überholt oder sind unsere christlichen Antworten auf das Leben nicht mehr relevant? In großen Kongressen und Veranstaltungen in ganz Deutschland werden diese Fragen diskutiert und Antworten gesucht. Fortbildungen, Innovationsprogramme, neue Studiengänge, vieles in den Kirchen geht diesem inzwischen nach.
Mich bewegt diese Frage. Denn ich erlebe bei Pixel Sozialwerk im Rahmen einer Gemeindekooperation, dass wir die Anzahl der Menschen, die die Gemeinderäume betreten wollen, aufgrund von Überfüllung begrenzen müssen. Sprich, es wollen mehr Menschen in die Räumlichkeiten der Gemeinde, als räumlich möglich ist. Zur Einordnung: Wir als Pixel Sozialwerk führen von Frühjahr bis Herbst an unterschiedlichen Standorten jeweils wöchentliche Spielplatzfeste durch. Seit 2,5 Jahren veranstalten wir mit einer Erfurter Gemeinde ein Spielplatzfest in Kooperation unweit der Gemeinderäume. In den Wintermonaten wandeln wir das Spielplatzfest in einen Indoor-Spielplatz um und nutzen dafür das Gemeindehaus. Hier haben wir vor 2 Jahren mit ca. 30 Kinder und Eltern gestartet. Inzwischen kommen 180 Teilnehmende pro Woche.
Eine Antwort, die uns an die Grenzen bringt
Ein Traum, oder? Hunderte Menschen die über den Winter hinweg, in die Kirche kommen, die mit dem Pastor sprechen, uns kennen lernen, einen Kaffee genießen, Spielsachen ausprobieren, Bibelgeschichten hören und einfach einen schönen Nachmittag haben. Menschen, die sonst nichts mit der Kirche zu tun haben, sagen, dass dienstags, der Tag des Indoor-Spielplatzes, ihr Lieblingstag ist. Aber blicken wir nochmal auf die Anfangsfrage zurück. Sind wir dafür bereit? Wollen wir das wirklich? Denn so groß die Freude darüber auch ist, so groß waren auch die Herausforderungen. Wie wird man so einem regelrechten Ansturm gerecht? Woche für Woche kamen mehr Familien. Denn was man nicht direkt dabei wahrnimmt, ist die damit verbundene Arbeit: Fundraising für zehntausende Euros an Spielsachen, 2-4 Mitarbeitende jede Woche, stundenlanges Auf- und Abbauen, hunderte Bestellungen mit Spielsachen annehmen und auspacken, hunderte Liter Kaffee kochen, Räume kindersicher umgestalten, putzen, neuplanen, ausprobieren, verwerfen, sprechen… Ich bin dankbar für diesen Prozess, die Gemeinde, die Spenden und dafür, dass viele Familien Kirche anders erleben durften und dürfen.
In all den Diskussionen um die Zukunft der Kirche, gesellschaftlicher Relevanz und das Erreichen von Menschen wünsche ich mir mehr Fragen zu den Konsequenzen dessen. Unsere Erlebnisse haben mir gezeigt, was Wachstum in der Praxis bedeutet. Gerade in der Dynamik des Wachstums müssen Entscheidungen getroffen werden, Dinge schnell angepackt werden. Nicht nur einmal stand die Frage im Raum, ob wir das überhaupt schaffen könnten? Ob das nicht alles zu viel wird und ob der eigentliche Segen nicht doch ein Fluch ist?
Viel zu oft geben wir uns als Kirchen mit „Ein bisschen mehr“ zufrieden: ein paar neue Gesichter, ein neues kleines Format, ein paar kleine Stellschrauben. Dabei sind, wenn wir die Extrameile gehen, oft ganz neue Dimensionen möglich. Dafür müssen wir aber bereit sein, die Konsequenzen zu tragen. Aber nicht nur am Neuen müssen wir arbeiten, auch das Bestehende müssen wir in den Blick nehmen. Wer regelmäßig kommt freut sich an dem was er erlebt, und das ist gut so. Der der nicht kommt, kommt nicht, weil ihn genau das nicht anspricht. Wenn nun viele Menschen neu dazukommen, wird und kann es nicht so bleiben, wie es war. Neue Idee, Anmerkungen, Interessen und Wünschen werden kommen und die Frage bleibt: Können wir unseren Rahmen dafür erweitern ohne alles was war zu verwerfen?
Ein Auftrag, der uns alle angeht
Die Gemeinde kann danach nicht mehr so sein, wie sie vorher einmal war. Ressourcenfragen noch nicht mal angedacht. Lasst uns daher nicht allein für Wachstum beten, sondern unsere Gemeinden darauf vorbereiten, was es bedeutet, wenn Wachstum geschieht. Lasst uns Menschen attraktive Angebote machen, uns des Wettbewerbes um die Zeit der Menschen bewusst sein und anerkennen, dass Menschen auch ohne uns durch das Leben gehen werden. Aber Sie kommen und lassen sich einladen, wenn wir Sie sehen und ihrem Leben einen Mehrwert geben möchten. Ich möchte nicht nur hören, was vor noch wenigen Jahrzehnten Menschen in Gemeinde erleben konnten, ich will mitwirken, dass die kommenden Generationen volle Gotteshäuser erleben können.
Im Podcast „Beten & Businessplan“ sprechen Erik und Anna Reppel mit verschiedenen Menschen aus Kirche, Diakonie und Wirtschaft über christliches Social Entrepreneurship und verbinden die Themen Theologie, Soziale Arbeit und Unternehmertum. Sie stellen die Frage, wie man mit unternehmerischen Ansätzen die Kirche der Zukunft interdisziplinär gestalten kann. Der Podcast ist ein Gemeinschaftsprojekt der WERTESTARTER Stiftung, der ev. Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbild der Ev. Kirche Deutschland und der Diakonie Deutschland „midi“ und der Pixel Stiftung.
Foto von Serge Le Strat auf Unsplash
AUTORIN · AUTOR
Erik Reppel ist studierter Betriebswirt und ehemaliger Banker. 2018 gründetete er mit seiner Frau Anna das christliche Social Start-Up Pixel Sozialwerk in Erfurt. Als freshX-Initiative und Erprobungsraum der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland kämpft Pixel Sozialwerk gegen die gesellschaftlichen Brennpunktthemen Kinderarmut, Chancenungleichheit und daraus resultierende Perspektivlosigkeit. Für ihre Arbeit erhielten Sie 2023 den 3. Platz des ThEx Award – Thüringer Gründerpreis in der Kategorie „Durchstarten“. Anna und Erik Reppel stifteten 2021 die Pixel Stiftung mit der Mission, dass jeder Mensch neue Formen von Kirche und Diakonie starten kann unabhängig seines eigenen Hintergrunds und seiner Erfahrungen. https://pixel-stiftung.de/