Ein halbes Diensthandy

Ein halbes Diensthandy

VON Gerhard Beck

Von Veröffentlicht am: 27. Mai 2025Kategorien: Alle, Wildnis989 Wörter4,9 min LesezeitAufrufe: 31Schlagwörter: , , , ,

„Der hat doch nur eine kleine Gemeinde, der muss doch Zeit für uns haben“. Pfarrer Gerhard Beck über sein Leiden in zwei Stellen, ausufernde Vakanzvertretung und ein realistisches Zukunftszenario von Kirche.

Die Gemeinde war klein, etwas über 600 Gemeindeglieder, aber sie hatte eine Vorgeschichte: Zwischen dem Vorgängerehepaar und dem Kirchenvorstand war es zum Streit gekommen. Es kam zu unschönen Szenen, Schlichtungsversuche der Kirchenleitung scheiterten. Das Pfarrersehepaar bewarb sich um eine andere Stelle, die Gemeinde war gespalten. Der Vertretungspfarrer kittete das Schlimmste, jetzt ging es darum, wieder aufzubauen. Bei meinem Dienstantritt hieß es: Zwei halbe Stellen. Seien Sie für die Gemeinde da! Und weil im Dekanat die Religionslehrer fehlten: Machen Sie den ganzen Religionsunterricht vor Ort. Da haben sie gleich alle Kinder. Gesagt, getan. Ich war der ganze Ortspfarrer mit extra viel Religionsunterricht.

In der Vakanzschleife

Nach den ersten Jahren als Berufsanfänger kamen Vertretungen in den doppelt so großen Nachbargemeinden dazu. Ich stieß massiv an meine Grenzen. Durch Pensionierungen, Krankheitsfälle und den Wechsel von jungen Kollegen kam ich aus der Vakanzvertretungsschleife nicht mehr raus. Ich fühlte mich hin und her gerissen zwischen der eigenen Gemeinde, die ihren ganzen Pfarrer erwartete, und den vakanten Gemeinden, bei denen man im Kopf hatte: „Der hat doch nur eine kleine Gemeinde, der muss doch Zeit für uns haben“. Ich merkte: Da gehe ich kaputt.

Zur gleichen Zeit lief im Dekanat die „Landesstellenplanung“, also eine Änderung der Stellen, die trotz Kürzungen die Chance bot, Stellen umzuverteilen. Schnell war klar: Meine Gemeinde kann nur eine halbe Stelle behalten. Und: Wir brauchen in meinem Dekanatsbezirk einen „Springer“, der Vakanzvertretungen übernehmen und bei Gottesdiensten aushelfen kann. Mich reizte diese neue halbe Stelle: Ich wollte die Klarheit der Trennung. Nur diesmal hoffentlich ohne die zerstörerische Unzufriedenheit, nie jemandem gerecht werden zu können. Nach einiger Zeit auf meinen beiden halben Stellen kann ich sagen: Auch hier komme ich an meine Grenzen, aber ganz anders als vorher. Durch die klare Stellenteilung gibt es keine überzogenen Erwartungen, die ich erfüllen muss. Meine Gemeinde weiß: Ich bin mit halber Stelle für sie da. Und ich kann mich mit weniger schlechtem Gewissen als früher den Vertretungsgemeinden widmen.

Auch das Neue hat seine Tücken

Doch auch in der neuen Kombination tauchen Herausforderungen auf. Vorher hatte ich viel Zeit für Menschen und Besuche. Da gab anstrengende Besuche, aber auch ganz entspannte, bei denen ich eine Stunde bei den Menschen war, nette Gespräche geführt und Kuchen gegessen habe. Diese „leichten“ Zeiten, in denen man sich nicht so sehr konzentrieren muss, fehlen in meiner Stellenkombination. Die Anzahl der Gemeindebesuche wurde massiv reduziert, in der Vertretungsstelle sind sie gar nicht vorgesehen. Im Gegenzug haben die Arbeitsanteile zugenommen, in denen ich sehr konzentriert arbeiten muss. Ich muss mich in die Welt der Telekommunikationsdienste einarbeiten, Supportverträge abschließen, 15 verschiedene Telefonanschlüsse im Auge behalten. Die Vertretungsgemeinde vermietet eine Wohnung an Flüchtlinge und plötzlich muss ich mich mit Bürgergeld und Mietrecht auseinandersetzen. Eineweitere große Herausforderung ist, den Überblick zu behalten. Zwei Kirchenvorstände, zwei Pfarrbüros, eingebunden in drei Gottesdienstpläne. Und viele neue Leute. Wer war das noch gleich? Und wen muss ich jetzt schnell wieder informieren?

Wir müssen ehrlich darüber reden: Wo sind die Grenzen meiner und unserer Leistungsfähigkeit: als Haupt- und Ehrenamtliche, als Gemeinde?

Das ist das Besondere an diesem Job: Ich bin nur auf Zeit hier. Normalerweise würde ich mir Strukturen schaffen, um den Überblick zu behalten. Aber jetzt heißt es: „Das lohnt sich nicht, bald kommt jemand Neues und dann ist sowieso alles wieder anders. Also bleibt erst mal alles so, wie es ist, und ich muss mit dem Chaos umgehen.

Ja, ich mag meine beiden halben Stellen. Ich mag es, ein festes Standbein in der eigenen Gemeinde zu haben, in der ich die Gemeindeglieder und die Abläufe kenne. Ich mag die Abwechslung meiner Springerstelle. Ich mag den Wechsel zwischen verschiedenen Gemeinden, die immer neuen Begegnungen mit neuen Menschen. Ich mag es auch, mich in verschiedene Zusammenhänge einzuarbeiten, mein Wissen zu erweitern.

Wir müssen Abschied nehmen …

Ich bin überzeugt: Meine Herausforderungen werden zukünftig viele Kolleginnen und Kollegen betreffen. Sie werden die Arbeit für viele Hauptamtliche, Kirchenvorstände und ehrenamtlich Mitarbeitenden in den nächsten Jahren massiv verändern. Wir müssen Abschied nehmen von üblichen Bildern von Gemeinde und Pfarrern. Wir müssen Abschied nehmen von dem „Das war schon immer so, so machen wir das jetzt weiter und die nächste Pfarrerin macht das auch so“ und uns fragen: Was ist uns theologisch wichtig? Wo stellt Gott uns jetzt hin? Als Gemeinde für die Menschen in unserer Region? Als Mitarbeitende mit unseren Begabungen? Wir müssen Abschied nehmen von der Erwartung (und manchmal auch der Vorschrift) des Pfarrers, der mehr als 40 Stunden arbeitet, und der Mitarbeitenden, die ganz selbstverständlich das Gemeindefest organisieren. Wir müssen uns ehrlich fragen und vor allem endlich ehrlich darüber reden: Wo sind die Grenzen meiner und unserer Leistungsfähigkeit: als Haupt- und Ehrenamtliche, als Gemeinde? Wir müssen uns auch fragen: Welche gewohnten Veranstaltungen und Gottesdienste lohnen sich noch? Sind die Kräfte der Mitarbeitenden vielleicht bei anderen Terminen besser eingesetzt? Und wir müssen uns von dem Bild verabschieden, dass alles schon irgendwie geht.

Wir müssen uns Hilfen suchen, wie wir mit den Herausforderungen der neuen Stellenkombinationen umgehen können. Und unsere Kirchenleitungen sollten uns diese Hilfen zur Verfügung stellen: Mit Coaches, mit Fortbildungen und mit der Entrümpelung von Vorschriften, die sich auf eine klassische ganze Pfarrstelle beziehen. Oder wussten Sie, dass ich zum Beispiel nur ein halbes Diensthandy bezahlt bekomme, weil ich nur eine halbe Gemeindepfarrstelle innehabe? Am Anfang waren zwei halbe Stellen. Am (vorläufigen) Ende sind es auch zwei halbe Stellen. Und die Erkenntnis, dass zwei halbe nicht automatisch ein ganzes ist.

Foto von Possessed Photography auf Unsplash

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