Kirche als Call-Center?
Kirche als Call-Center?
VON Reinhard Brunner
Neulich rufe ich meinen Stromanbieter an. Schon am Dialekt merke ich, der sitzt eher nicht in der Filiale hier in Hamburg, sondern weiter südlich. Ist ja auch egal. Es kommt auf Kompetenz an und dass ich ihn schnell erreiche und nicht darauf, ob die Person von hier um die Ecke mit mir telefoniert. Dumm nur, dass ich vergaß etwas zu fragen.
Also wähle ich nochmal die 0800er Nummer. Plötzlich habe ich eine Frau mit Berliner Zungenschlag in der Leitung. „Kann ich den Herrn aus Schwaben von eben nochmal sprechen könnte, ich habe etwas vergessen.“ „Nee, geht leider nicht.“ Ich trage nochmals mein ganzes Anliegen vor. Gut, dass ich nicht noch was vergessen hatte …
Kostengünstig, aber unpersönlich
Call-Center sind praktisch für die Unternehmen, kostengünstig und für die Kunden fast rund um die Uhr erreichbar. Deshalb wird das gemacht. Es kommt auf Kompetenz an und Verfügbarkeit und nicht auf die persönliche Betreuung.
Ich bin seit gut einem Jahr evangelischer Pastor in der Region Hamburg Süderelbe, ganz im Südwesten der Nordkirche. Ziemlich diverse Region mit einer Mischung aus großstädtischer Bebauung und den drei Elbdörfern Neuenfelde, Finkenwerder und Moorburg. Pfarrsprengel heißt, die Gemeinden sind autark, kooperieren aber. Gestern hatten wir Regionalratssitzung. Hauptthema war diesmal, wie wir das mit den Gottesdiensten organisieren. So wie früher wird es bei knapper werdenden Ressourcen nicht mehr gehen: Die Ortspastorin hält den Gottesdienst in ihrer Gemeinde. Ist sie im Urlaub oder krank, lässt sie sich vertreten. Punkt fertig aus.
So viel vor Ort wie möglich. So viel Region wie nötig
Deshalb wurde für zwei Jahre das Call-Center Modell probiert. Die fünf Pastoren der Region machen einen Plan. So wie es gerade passt, werden Gottesdienste gehalten, kompetent, vielfältig, aber halt ohne Vertrauensbeziehung. Der Pastor in Funktion, nicht als Person. Vorteil: Wir haben unsere Region kennengelernt. Nachteil: Die Interaktion mit den Menschen, der Gemeindeaufbau vor Ort fällt fast flach, wenn man seine Leute nicht sieht. Die Erfahrung ist: Die Gottesdienste in den Gemeinden, wo der Kollege oder die Kollegin ihren Schwerpunkt hat, sind am Besten besucht und zwar unabhängig von Theologie oder Stil. Beziehung ist Trumpf.
Zukunft gewinnt mit Beziehung
Gestern nun haben wir einen Gottesdienstplan ausgetüftelt, der beidem Rechnung trägt. Der Notwendigkeit zeit- und ressourcensparend zusammen zu arbeiten bei weniger werdendem Pfarrpersonal und der Notwenigkeit Beziehungen zu pflegen und Vertrauen aufzubauen. Die praktische Theologin Isolde Karle kann nicht genug davor warnen, die Face-to-Face-Kommunikation von Kirche, wie sie es nennt, komplett aufzugeben. So viel vor Ort wie möglich. So viel Region wie nötig.
Was ich gestern gelernt habe: 1. Die Menschen haben Verständnis für die Situation und gehen den Weg mit. 2. Es gibt eine große Bereitschaft, Gottesdienst gemeinsam mit oder auch alleine von Ehrenamtlichen, Liturgiegruppen, Prädikanten, Chören, Kirchenmusiker gestaltet. 3. Uns Pastoren kommt in Zukunft stärker die Aufgabe zu, Ehrenamtliche zu befähigen und für ihren Dienst zuzurüsten, als alles selbst zu machen. Die Kirche wird die vermutlich sogar gewinnen.
Titelbild: lummi.ai (KI)
AUTORIN · AUTOR

Ev. Luth. Nordkirche, Pastor im Pfarrsprengel Süderelbe, lokal an St. Nikolai Hamburg-Finkenwerder. Mit seinen Kolleginnen und Kollegen möchte er in unserem Pfarrsprengel Kirche regio-lokal entwickeln – so viel lokal und regional wie möglich arbeiten und im gegenwärtigen Umbruch Kirche auch einen Aufbruch initiieren.
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