Buchtipp: „Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt“
Buchtipp: „Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt“
VON GastautorIn
Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt
Von Jan Loffeld
Verlag: HERDER

Das Christentum vor der religiösen Indifferenz
Jeder Mensch hat Sehnsucht nach Gott oder zumindest ein religiöses Bedürfnis. Ein erfülltes und glückliches Leben gibt es letztlich nur im Glauben. Von diesen Grundannahmen ging ich am Anfang meines Dienstes als Pfarrer. In zahlreichen Predigten und Gemeindeveranstaltungen habe ich mich an diesem Koordinatensystem orientiert. Gleichzeitig wuchs in mir der Zweifel. Wenn das stimmt, warum ist nur noch eine schwindende Minderheit unserer Gesellschaft religiös? Warum lassen sich auch durch die besten Angebote nur wenige Menschen ansprechen? Und warum macht die areligiöse Mehrheit nicht den Anschein, ein unglückliches und unerfülltes Leben zu führen? Das Buch von Jan Loffeld, einem katholischen Praktischen Theologen in Utrecht, hat mir die Augen geöffnet. Die wackelnden Grundannahmen sind gefallen. Nein, subjektiv fehlt den Menschen nichts, wenn Gott fehlt. Die meisten Menschen sind keine A-Theisten, die Gottes Existenz ablehnen. Sie sind Apa-Theisten, für deren Leben die Existenz oder Nicht-Existenz Gottes keinerlei Relevanz (mehr) hat. Unsere Gemeinden könnten ihre Angebote so weit optimieren, wie sie wollen. Weder ein perfekter Lobpreis, noch die schönste Location oder engagierteste Predigt ändern etwas daran: Die meisten Menschen haben kein religiöses Bedürfnis (mehr). Sie stellen sich nicht (mehr) die Fragen, auf die die klassischen Antworten unserer christlichen Lehre und Tradition passen. Ein übergreifender Lebenssinn erscheint ebenso wenig notwendig wie die Vergebung persönlicher Schuld. Treffend zitiert der Autor eine Taufbewerberin: „Ich habe eine Antwort auf eine Frage gefunden, die ich vorher gar nicht hatte.“ Die Fragen entstehen erst nach der Begegnung mit Gott. Was nun? Der Autor wagt sich nur tastend voran. Es gibt keine erfolgversprechende Strategie. Die Kirchen dürfen sich jedenfalls nicht auf die Selbstoptimierung verlassen. Sie kann die religiöse Indifferenz nicht überwinden. Auch das beste religiöse Angebot ist für die meisten Menschen nicht mehr relevant, weil Religion an sich nicht mehr relevant ist. Stattdessen sollen sich die Kirchen auf ihr Alleinstellungsmerkmal konzentrieren, also auf ihren Gottesbezug. Von ihm müssen wir erzählen, genauer: Von unseren persönlichen Erfahrungen mit ihm. Denn der Glaube kann seine Relevanz nur noch im persönlichen Erleben zeigen. Menschen müssen heilsame Erfahrungen mit Gott machen. Besondere Bedeutung haben „persönliche Erlebnisse im Glauben, etwa in der Begegnung mit Schöpfung, das Mitgerissenwerden von Glaubenszeugnissen bei social media oder Erfahrungen bei größeren Glaubensfestivals… oder bei Glaubenskursen“. Jan Loffelds Buch ist seit langer Zeit die erste theologische Lektüre, die ich innerhalb von 24 Stunden verschlungen habe. Ich ahne allerdings: Die (Denk-)Arbeit endet nicht mit der Lektüre, sondern muss weitergehen.
Dirk Kellner
AUTORIN · AUTOR
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