Kirche als Heimatort für Start-Ups
Kirche als Heimatort für Start-Ups
VON Rüdiger Jope
Halle an der Saale ist schon immer Geburtsort für Innovationen gewesen. Der Pietist August Hermann Francke setzte hier seine revolutionäre Bildungsidee um. Er baute ein Waisenhaus und ermöglicht allen Kindern – egal ob arm oder reich – einen anschaulichen Schulunterricht. Heute ist die Stadt ein Standort für moderne Technologien, ein Zentrum für Forschung und Innovation in Technik und Sozialem. Und damit auch im Blick auf die Zukunft der Kirche.
Raum für Arbeiten und Gemeinschaft
Ich sitze in einem idyllischen Hinterhof im Giebichensteinviertel. Grobes Pflaster. Eine Blumenwiese. Ein alter Ahorn spendet Schatten. Am Biertisch mir gegenüber: Jan-Micha Andersen, früher schwäbischer Jugendpastor, heute sächsisch-anhaltinischer Innovator. Er wollte dorthin, „wo nicht die ganzen Christen auf einem Haufen kleben.“ Er will erleben, „was Gott außerhalb der frommen Blase tut.“
Der Kindergarten der Bartholomäusgemeinde zog 2015 aus dem Gebäude am Steilen Berg 4 aus. Die Gemeinde wollte das Haus, welches umgeben ist von hundertjährigen Mietshäusern, offen halten und mit gesellschaftlichem Impact weiterführen. Der Socialentrepreneur lernt die Initiatoren und das Team kennen und fängt Feuer. Gemeinsam fragen sie sich: Was brauchen Menschen hier im Stadtteil? Was brauchen Menschen nach dem Studium und ersten Erfahrungen in abhängiger Beschäftigung auf dem Weg zu einem selbständigen Arbeiten und Gründen? Denn sie nehmen wahr: Hier leben und wohnen junge, innovative und kreative Menschen, die auf der Suche nach einem Ort zur Verwirklichung ihrer Träume sind.
„Wer sich selbständig macht, braucht Räume und läuft schnell Gefahr, zum Einzelkämpfer zu werden!“ Gründen ist ein steiler Berg. Dabei zu begleiten, diese Hürden zu überwinden, lockt das Gründer:innenHaus als Ort mit günstigen Tarifen für die Nutzung von Schreibtischen und Plattformen. Zugleich werden die Gründer:innen im sozialen oder kreativen Bereich nicht nur als homo faber gesehen. „Gemeinschaft für Menschen, Vorteile und Unterstützung anzubieten, ist immer schon ein Zeichen von Christen gewesen“, so Jan-Micha. So ist es ihr Anliegen, dass Kirche von der Welt der Start-Up Gründerinnen und Gründer lernt und gleichzeitig einen „pulsierenden Gemeinschaftsort zum Arbeiten, Leben und Lernen anzubieten“, so der Wahl-Sachsen-Anhaltiner. Das Motto lautet: „Gemeinsam gründen & arbeiten für bessere Aussichten.“ 12 Arbeitsplätze, drei Büros, ein heller Seminarraum und eine große Küche stehen inzwischen etwa 18–20 Mietenden zur Verfügung. Es herrscht geschäftige Arbeitsatmosphäre: auf dem Hof, an den PCs und an der Kaffeemaschine. Unter dem Dach des alten kirchlichen Kindergartens entwachsen Start-Ups für Gemüse-Abos, mobile Heilpädagogik, Konfliktberatung, Textarbeit, Spielplatzberatung, Event-Agenturen den Kinderschuhen.
Manchmal mussten Christen und Christinnen etwas Verrücktes tun, sonst hätte die Tradition sie gefangen genommen.
Im Stadtteil präsent sein, statt sich zurückzuziehen
Ich sehe und erlebe an diesem Nachmittag: Kirche zieht sich nicht aus dem Stadtteil zurück, sondern bleibt als Ansprechpartnerin für Fragen des Glaubens, aber auch der Alltagsprobleme und als Raum zur Ermöglichung guter, gesellschaftsorientierter Arbeit anwesend und „lernt selbst mit“ statt Antworten parat zu haben. Die Präsenz der kirchlichen Mitarbeitenden und der christlichen Werte prägen die Atmosphäre und den Umgang miteinander. Dabei verbindet sich der Begriff „Mission“ ganz selbstverständlich mit der Mission der Mietenden, die auch unterwegs sind zu besseren Aussichten für sich und andere. Der Glaube der Mitarbeitenden motiviert und ermutigt sie, dass dies gelingen kann. In verschiedenen Formaten wie dem monatlichen Mittagstisch, passenderweise „Gipfeltreffen“ genannt, mit Pasta und Pesto und zehn Minuten Zeit für einen Impuls, während die Nudeln al dente kochen, und vielen Tür- und Angelgesprächen begegnen sich Menschen auf Augenhöhe und teilen miteinander Hoffnungen und Sorgen. „Denn unsere Wirkung hier im Steilen Berg messen wir nicht in Zahlen, der Fokus liegt auf den Menschen,“ betont Andersen.
Unweit der Franckeschen Stiftung wächst in Halle an der Saale etwas Neues. Die Innovation des Gründer:innenHauses vermittelt: „Sei eine Unternehmerin deiner selbst! Und wir helfen dir, es selbst zu tun.“ Lachend resümiert Jan-Micha: „Manchmal mussten Christen und Christinnen etwas Verrücktes tun, sonst hätte die Tradition sie gefangen genommen.“
Fotos: Rüdiger Jope, Knut Burmeister (mitte)
AUTORIN · AUTOR
Rüdiger Jope (Jg. 1969) ist gebürtiger Sachse, aufgewachsener Hesse, eingeheirateter Schwabe und heimatgewordener Westfale. Der gelernte Werkzeugmacher, studierte Theologe und Sozialpädagoge verantwortet als Chefredakteur im SCM Bundes-Verlag das Kirchenmagazin 3E und das Männermagazin MOVO „Was Männer bewegt. Was Männer bewegen“. Der Freizeitläufer lebt zusammen mit seiner Frau Ingrid und den zwei Kindern in Wetter/Ruhr.
3E ist Basecamp zum Anfassen
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