Wilde Zeiten brauchen wilde Kirchen!

Wilde Zeiten brauchen wilde Kirchen!

VON Walter Färber

Von Veröffentlicht am: 19. August 2024Kategorien: Alle, Kompass, Zukunft Kirche1574 Wörter7,9 min LesezeitAufrufe: 117Schlagwörter: , , , , , , , , , , , , , ,

Warum die Kirche weniger ängstlich agieren und mehr anecken sollte.

Wenn Jesus müde war vom Gedrängel der Heilung Suchenden, dem Geschrei der Dämonen und den hinterhältigen Fragen der Religionsfunktionäre, dann verschwand er und suchte einsame Orte auf. Er ließ die Zivilisation hinter sich und suchte in der Wildnis Klarheit im Nachdenken vor seinem himmlischen Vater. Dort gibt es keine menschlichen Reviere, die erbittert verteidigt werden; und niemand liegt auf der Lauer, um angebliche oder tatsächliche Fehler und Inkonsequenzen aufzudecken. Die Natur urteilt nicht.

Die Gesellschaft ist die eigentliche Wildnis

Ganze Nächte verbrachte Jesus so, und am Ende fand er zur Klarheit. Dann ging er aus dem Frieden der Natur zurück in die Wildnis der Zivilisation. Er war keiner von den Qumran-Leuten, die sich in ihr Wüstenkloster zurückgezogen hatten und da blieben. Aus der Wildnis brachte er Entschlüsse mit; Einsichten, die der Herrschaft Gottes mitten im Chaos der Welt Raum verschafften. In seiner Nachfolge machten sich ungezählte Männer und Frauen ebenfalls auf, um Licht in die dunklen Ecken der Welt zu bringen. „Neue Schöpfung“ nannte Paulus die kleinen Zonen der Befreiung, in denen man lernen konnte, solidarisch zu leben statt ausbeuterisch. Es waren Orte, wo man anfing, innerlich und äußerlich mit der imperialen Gesellschaft und ihrem Ordnungsgefüge zu brechen. Also: keine Opfer für den Kaiser! Christen gucken nicht blutige Gladiatorenkämpfe! Christen gehen nicht zum Militär und nicht ins Bordell!

Das alles musste auf die anders gestrickten Zeitgenossen verstörend wirken. Klar, dass es viele Versuche gab, diese Alternative zu zerstören. Aber bekanntlich sorgten Verfolgungen oft eher für Gemeindewachstum. Gerade in gefährlichen Zeiten voller Katastrophen, Seuchen und Kriegen zeigte sich in der Nachfolge Jesu eine Kraft, die für viele unerklärlich, aber enorm anziehend war. Die Christenheit war in der Offensive, und am Ende fiel den Cäsaren nicht anderes mehr ein, als sie zur Staatsreligion zu machen.

Wilde und gefährliche Zeiten haben wir heute auch. Das Kaliber der Krisen reicht schon an die apokalyptischen Szenarien der Bibel heran, auch wenn die Katastrophen immer noch vor allem die anderen (im Ahrtal, im globalen Süden) treffen. Aber kein entschiedenes Nein der Kirchen zu den “Männern, die die Welt verbrennen” (Christian Stöcker) verstört die Zeitgenossen. Verstört sind sie allenfalls von Klimaklebern, die für ziemlich moderate Zeitspannen den Verkehr behindern, aber ihre Wurzeln beim Mann aus Nazareth – wenn sie sie haben – kaum zeigen. Dabei könnte es von entscheidender Bedeutung sein, wenn eine gar nicht so kleine christliche Minderheit sich mutig und unübersehbar den heraufziehenden Krisen stellen würde. Vielleicht zöge dann in der Mehrheitsgesellschaft der eine oder die andere doch noch den Kopf aus dem Sand.

Wilde und gefährliche Zeiten haben wir heute auch.

Doch Kirchenleute können heute gar nicht gut mit Krisen und Konflikten umgehen. Eine Kontrastgesellschaft sein? Lieber nicht. Stattdessen betont man unentwegt, auch nicht anders und schon gar nicht besser zu sein als andere. Dabei müssten wir eigentlich von unseren Genen her die Krisenprofis sein: Noah und die Sintflut; Joseph und die Hungersnot; David und Goliath; Jeremia und die Zerstörung Jerusalems; Paulus’ Gefangenschaften, Schiffbrüche und Fluchten. Ganz zu schweigen vom Kreuz Jesu und den Katastrophenszenarien der Offenbarung. Christsein ist nichts für Feiglinge. Wenn Gott in die Welt kommt (Advent!), dann wanken alle gewohnten Sicherheiten. Das dürfte uns eigentlich kein fremder Gedanke sein.

Gefangen in Ohnmachtstheologie

Es ist doch nicht so, dass Gott schwach oder schweigend geworden wäre, wie manche Dietrich Bonhoeffer missverstehen. Es ist nur leider so, dass viele sich überhaupt nicht vorstellen können, dass es noch andere Stärke gibt als die, die aus den Gewehrläufen, von den Bankkonten oder aus der Planstelle in einer großen Institution kommt. Diese andere Stärke will Gott allen Leuten Jesu verleihen, nicht nur ein paar heiligen Auserwählten. Aber mal ehrlich – wollen wir die wirklich, oder macht sie uns Angst? Es ist erstaunlich, welche Angst vor der eigenen Größe Christen beschleichen kann. Im Hintergrund arbeitet da eine jahrhundertealte Ohnmachtstheologie, die Menschen suggeriert, sie seien schuldig, ungenügend und vielleicht auch noch dumm und faul. Menschen mit peinlicher Gewissenserforschung zu beschäftigen, war lange eine sichere Bank. Die Themen können dabei wechseln. Die Aufklärung hat das Ihre dazu beigetragen, indem sie den Jesusleuten immer wieder die Sünden der Kirche unter die Nase rieb: Kreuzzüge, Hexenprozesse, Lustfeindschaft, und jetzt kommt auch noch der Missbrauch dazu. Die unterliegende Botschaft: denk nur nicht zu groß von dir, fühl dich nicht zu stark, sonst wirst auch du zum Pharisäer! Aber sind Hexenprozesse, Kreuzzüge und andere Verbrechen wirklich ein Zeichen von Stärke? Sind es nicht Zeichen erbärmlichen Unglaubens an die Kraft des Evangeliums, dem man anscheinend so wenig zutraut, dass man ihm mit weltlicher Gewalt beispringen muss? Eine selbstbewusste Kirche, die weiß, dass ihre Stärke nicht in ihr selbst liegt, sondern ihr vom Herrn je und je verliehen wird, hat das nicht nötig. Wüssten sie nur wirklich um diese Stärke, dann könnten alle Fraktionen der Christenheit wieder mit ihrem Meister in die gesellschaftliche Wildnis aufbrechen, um dort endlich ihrem Auftrag des Heilens und Befreiens, Klärens und Versöhnens gerecht zu werden. Schluss mit der Gefangenschaft im religiös-moralisch-spirituellen Ghetto! Da mag es ungefährlich sein, aber das ist nicht unser artgemäßes Biotop. Der wahre Gottesdienst geschieht in der Fülle der wilden, ungezähmten Realität.

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