Zukunftsmodell Jugendkirche

Zukunftsmodell Jugendkirche

VON Rüdiger Jope

Von Veröffentlicht am: 2. September 2025Kategorien: Alle, GefährtInnen2022 Wörter10,3 min LesezeitAufrufe: 597Schlagwörter: , , , ,

Auf einen Kaffee mit dem Chef-Lobbyisten der Konfi- und Jugendarbeit: Landesjugendpfarrer Dr. Tobias Fritsche. Ein munterer Talk über seinen Weg auf die Kanzel, die Herausforderungen der Konfirmandenarbeit und seine Vision für eine zukunftsfähige Kirche.

Wie bist du kirchlich sozialisiert worden?

(lacht) Ich komme aus einem Pfarrhaus. Bei uns wurde nach dem alten Prinzip gelebt: Bezahle einen, bekomme fünf. Die ganze Familie war in die Gemeindearbeit eingespannt. Ich habe ganz verschiedene Frömmigkeitsstile gelebt: Charismatisch, EC, CVJM. Und doch gehörte ich immer zur Landeskirche. Mein Papa hat im Blick auf die Kirche den Satz geprägt: Auch wenn meine Mutter mal alle Zähne verliert, ist sie immer noch meine Mutter. Das trage ich in mir. Diese Freude an Vielfalt und Weite hat mich geprägt.

Der Konfirmandenunterricht war für dich …?

… schwierig. Wir waren zu der Zeit auf dem Dorf. Da saßen vier Mitkonfirmanden und ich bei meinem Vater. Noch schwieriger war der Kindergottesdienst bei meiner Mutter. Die hat mich mehrmals rausgeschmissen. Das war nicht immer vergnügungssteuerpflichtig, aber ich habe keinen Schaden genommen. (lacht) Aus der kleinen Konfigruppe ist übrigens ein richtig großer Jugendkreis erwachsen. Dieser wurde dann meine geistliche Heimat.

Konfirmand Tobias Fritsche stand mit Überzeugung sonntags um halb zehn auf, schmetterte alte Choräle zu Orgelklängen …

(vehement) Überhaupt nicht! Ich habe schon immer mit dem klassischen Gottesdienst gefremdelt. Trotzdem war es meinem Vater wichtig, dass wir daran teilnehmen. Ich habe aber schnell herausgefunden, dass die Gottesdienste Spaß machen, wenn ich darin etwas übernehme. Ich habe angefangen, in einer Band mitzuspielen. Als mir mein Vater in Aussicht stellte, ein Keyboard zu finanzieren, habe ich sogar eine kirchenmusikalische Ausbildung gemacht. Inzwischen weiß ich auch die stabile liturgische Form zu schätzen.

Warum bist du geblieben? Wie sah dein Weg aus in die kirchliche Jugendarbeit?

Entscheidend war für mich, dass ich meinen Glauben ausdrücken konnte, so wie er mir über die Lippen kommt. Meine Heimat war die christliche Musikszene. Es gab damals noch wenig deutschsprachigen Hip-Hop. Es gab die Bands Beatbetrieb und NormalGeneration. Und wir waren mit der Band BAFF am Start. Wir haben angefangen nach Worten zu suchen. Dieses Gefühl, wenn es dir gelingt, deinen Glauben in Worte zu fassen, in die Sprache, die du sprichst, dass war für mich der entscheidende Move als Jugendlicher. Mit dieser Form von Inkulturation der Kirche steht und fällt eigentlich alles. Jugendliche müssen in unserer Kirche in ihrer Form und ihrem Stil sagen können, was an Glauben und Zweifel in ihnen ist.

Jugendarbeit darf nicht so ein bisschen nebenbei passieren.

Wie bleiben Jugendliche in der Kirche? Durch Konzepte? Themen? Beziehung?

Nummer 1 ist Beziehung. Platz 2 belegen die Themen. Konzepte sind vergänglich. Es gibt Konzepte, die funktionieren in einem Kontext sehr gut, in einem anderen floppen sie. Auch Jugendkirchen sind hier nicht der Weisheit letzter Schluss, aber sie bieten einen ausgezeichneten Rahmen, um sehr viel umzusetzen …

Das war jetzt der Werbeblock. Man spürt deine Leidenschaft für diese Art von Kirche …

(lachen) Gemeinschaft ist die zentrale Tragfläche für gelingende Glaubenserfahrungen bei jungen Menschen. Dazu muss dann die Möglichkeit kommen mitzumachen, Selbstwirksam zu sein. Es ist wichtig Jugendliche schnell in Verantwortung zu bringen.

Der Anteil an einem evangelischen Altersjahrgang, der sich konfirmieren ließ, lag zwischen 2008 und 2021 jeweils zwischen 80 % und 90 %. Nutzen wir diesen Schatz als Kirche? Wird der Konfirmandenarbeit der Wert beigemessen, den sie verdient?

(sehr spontan) Nein! Ganz klar: Nein! Ich habe kürzlich in der bayerischen Synode den Vorschlag gemacht, 1/3 aller kirchlichen Mittel für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen auszugeben. Durch die KMU VI wissen wir, dass Familie als Sozialisationsinstanz in die Kirche rückläufig ist. Konfirmandenunterricht und Jugendarbeit sind die entscheidenden Anschlussfelder für den Glauben. In die Konfirmandenarbeiten unserer Kirche muss mindestens so viel Arbeit reinfließen, wie in den Gottesdienst am Sonntagmorgen. Um der Zukunft der Kirche willen, müssten hier dringend Prioritäten verschoben werden.

Was hältst du da für grundlegend geboten?

(leidenschaftlich) Jugendarbeit darf nicht so ein bisschen nebenbei passieren. Wir vergeigen unsere Zukunft, wenn der Pfarrer in der Woche nur zwei Stunden investiert und ein paar Zettel austeilt. Konfirmandenarbeit braucht heute Teilhabe auf Augenhöhe. Das klassische Unterrichtsformat ist tot. Es braucht starke Gemeinschaftserfahrungen, Kreatives … in der Gruppe, am Wochenende, auf Freizeiten. Und das funktioniert nicht so nebenbei. Es braucht hierzu Pfarrerinnen und Pfarrer, die darin ihren Schwerpunkt haben und dafür dann an anderer Stelle weniger machen.

Die KMU VI überraschte mit der Aussage, dass 48 % aller Evangelischen nach eigenen Angaben ein Angebot der kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit wie Gruppen oder Freizeiten besucht haben. Welche Konsequenzen müsste dieses Ergebnis nach sich ziehen?

Wenn an dieser Stelle ein so starkes Maß an religiöser Prägung wahrgenommen wird, dann sollte hier ein Schwerpunkt kirchlicher Arbeit gelegt werden – um der Jugendlichen willen, aber eben auch, weil sich in der Konfi-Zeit die Wahrnehmung von Kirche und Glauben in einer besonders intensiven Weise ausbildet.

Wenn die Stimme der Evangelischen Jugend in den Medien erklingt, unterscheidet sie sich kaum von denen der Parteien. Was ist für dich Kern- und Markengeschäft Evangelischer Jugendarbeit?
Die evangelische Jugend Bayern hat für sich das Motto ausgerufen, dass sie „fromm und politisch“ sind. Auf Landesebene hat sie tatsächlich einen starken politischen Drive. Das ist verständlich und wird auch von den Medien stark aufgegriffen. Wenn sich die evangelische Jugend zum Glauben junger Menschen äußert, findet das dagegen in der Presse kaum Resonanz. Meine Sichtweise ist: Ethisch oder politisch zu agieren und einen begründeten Glauben zu haben, sollte sich eigentlich nicht mehr widersprechen.

Jemand sagte einmal: „Teenagerarbeit ist wie Eier ausbrüten auf einer Rolltreppe.“ Kommen diese „Eier“ in unseren Kirchengemeinden überhaupt noch vor?

(lacht) Die Teilnahmezyklen von Menschen in der Kirche werden immer kürzer. Deshalb ist das nicht nur eine Frage von jungen Menschen. Wir müssen Angebote schaffen, die eine schnelle Bindung von jungen Menschen ermöglichen, an die sich gute Folgeangebote anschließen. Die Idee „Kirche von der Wiege bis zur Bahre“ funktioniert so nicht mehr.

Welche Chancen bieten deiner Überzeugung nach Kooperationsräume, die mehr und mehr entstehen?

Die Räume bieten die große Chance vielfältiger zu arbeiten. Es muss eben nicht nur den klassischen Gottesdienst sonntags um zehn Uhr geben. Sie könnten Gemeinden entstressen, weil sie nicht alles abdecken müssen, weil sie Schwerpunkte setzen dürfen. Wer Energie hat mit Jugendlichen etwas zu machen, der sollte drei Mal so viel Zeit dafür investieren dürfen als bisher. Und jemand, der daran kein Spaß hat, darf es bleiben lassen und seine Begabungen an einer anderen Tätigkeit ausspielen.

Die Zeit ist reif dafür, dass wir Jugendkirchen als Teil der normalen Gemeindelandschaft ansehen sollten.

Du bist Autor der Lektüre „Jugendkirche als Gemeinde“, hast zu diesem Thema promoviert. Welche zentrale Erkenntnis hast du dabei gewonnen?

Ich habe erstens gefragt und geforscht: Wie stellen sich junge Menschen, die Kirche gut finden, eigentlich Kirche vor? Und was macht Kirche für junge Menschen attraktiv? Und zweites habe ich versucht den Gemeindebegriff zu klären. Dabei stellte sich heraus: Junge Menschen leben in der Jugendkirche ganz Gemeinde, sehen sich aber nicht als Gemeinde. Sie verbinden Gemeinde nur mit dem ortskirchlichen System. Unser Landeskirchensystem setzt noch zu sehr auf das territoriale Prinzip. Es wird nicht ernstgemacht mit echten Profilgemeinden, so dass Jugendliche auch sagen können und dürfen: Die Jugendkirche ist meine Gemeinde, auch wenn ich da nicht wohne.

Hand aufs Herz: Schneiden wir mit dieser Art Gemeindeform nicht den „normalen Gemeinden“ die Zukunft ab? Ich spitze es noch etwas zu: Bräuchte es in einer Zeit des Individualismus, der Vereinzelung, des gesellschaftlichen Auseinanderdriftens nicht gerade EINE starke, GEMEINSAME Kirche?

Das ist ein guter Einwand. Doch wenn wir ehrlich sind, merken wir, dass die Mehrgenerationsgemeinden auch Zielgruppengemeinden für das Alter 50 und 60 plus sind. Wenn es eine funktionierende Mehrgenerationsgemeinde ist, dann würde ich das unbedingt fördern. Jugendkirchen verdienen kein Alleinstellungsmerkmal, aber wir sollten vor allen in den städtischen Kontexten genauer hinschauen und mehr Vielfalt wagen. Kirche darf hier nicht die Augen vor der Ausdifferenzierung verschließen. Das passiert unabhängig davon, ob uns dies gefällt oder nicht. Eine Beobachtung, die ich in der Jugendkirche gemacht habe, ist die, dass die Jugendlichen selbst die Feststellung gemacht haben: Hey, wir sind hier so lange unter uns, wir könnten doch mal ein Projekt mit Senioren machen.

Was ist die Chance, das Ziel einer Jugendkirche?

Jugendkirche bietet einen Raum, der sehr viel ermöglicht, der „warm“ ist, der eine hohes Teilhabeangebot in der Musik, beim Theater, beim Predigen, in der Technik, im Catering … anbietet. Jugendkirche ist ein Entfaltungsraum für Mädchen und Jungen, in dem sie in ihrer Sprache und Kultur mit dem christlichen Glauben in Berührung kommen, sich damit auseinandersetzen und sich massiv einbringen können.

Warum brichst du eine Lanze für die Jugendkirche? Was überzeugt dich von diesem Konzept?

Das Geld wird in den Landeskirchen knapper. In den 2000ern hat man einige dieser Kirchen gestartet als Add-on. Jetzt kommen wir in die Lage, wo wir uns diese Add-on’s nicht mehr leisten können. Jetzt gilt es meiner Überzeugung nach das Gesamtsystem anzuschauen. Die Zeit ist reif dafür, dass wir Jugendkirchen als Teil der normalen Gemeindelandschaft ansehen sollten. Die müssen eingebunden werden in das normale Miteinander von Kirchengemeinden. Wir dürfen durch die Krise der Finanzen nicht zurückkehren in das klassische parochiale System und die exotisch scheinenden Varianten zurückschneiden.

Damit machst du dir jetzt aber keine Freunde …

Richtig! Dafür bin ich ja auch Landesjugendpfarrer, Träumer, Visionär, Lobbyist der Jugendlichen. (lacht) Wenn jetzt fünf Gemeinden fusionieren, stehen dementsprechend viele Gebäude zur Verfügung. Dann wäre es doch klug, das Gebäude, welches am besten für Jugendarbeit geeignet ist, auch dafür zu nehmen und dort etwas für Jugendliche anzubieten, oder? Das dient doch allen fünf Gemeinden. Diese Schritte sollten wir mutiger gehen!

Wie geht es für Jugendliche weiter nach der Jugendkirche?

Das ist eine wirklich spannende Frage. In der Jugendkirche LUX in Nürnberg hatten wir eine größere Gruppe, die gerne weiter gemacht hätte. Die sind rausgewachsen, fragten wo können wir hin? Es gab Gespräche im Dekanat, aber sie haben keinen Platz gefunden. Hier müssen wir in den kirchlichen Regionen unsere Hausaufgaben machen: Wo können junge Erwachsene andocken, die Popmusik mögen, die am Sonntagmorgen lieber ausschlafen? Die passen nicht in das Standardsystem evangelischer Gottesdienstkultur.

Dein Traum für Dekanat & Kirchenkreise wäre?

Dass sie eine vielfältige Gemeindelandschaft und unterschiedliche Gottesdienstformen aufweisen, dass viele musikalische Stilgruppen vorkommen, dass sie mehr Beteiligungsformate anbieten.
Wie startet man eine Jugendkirche? Was kann man sich bei dir holen?
In Nürnberg haben wir mit Workshops gestartet. Wir fragten, hast du Lust in einer Band mitzuspielen, in einer Theatergruppe aufzutreten, ein Technikpult zu bedienen … Nur durch diese Beteiligungsangebote hatten wir vor dem Start der eigentlichen Jugendkirche schon 80 Mädchen und Jungen beieinander. Wir feierten dann Gottesdienste in einer Diskothek. Der Einstieg ist Mitmachen.

Ein paar Worte von Jugendlichen, die dir Mut machen, dass wir hier unbedingt weiterkommen müssen …

Die EKD-Präses Anna-Nicole Heinrich ist ein Kind der Evangelischen Jugend Bayerns. Die Kirche ist ein enormes Potential im Leben von Jugendlichen. Die Frage ist nur, ob diese Jugendlichen ihr Potential weiter in der Kirche entfalten können. Da sehe ich noch viel Luft nach oben.

Das macht dir Mut, tröstet dich?

Am Ende sage ich mit Karl Barth: Wir machen die Kirche nicht, sondern Gott ist es, der für seine Kirche verantwortlich ist. Auch wenn wir als Institution schwinden, ist es doch für den Einzelnen immer noch grandios, wenn er entdeckt, dass er ein geliebtes Geschöpf Gottes ist.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Titelfoto von Ismael Paramo auf Unsplash

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