Jesu‘ Gemeinde ist keine Komfortzone
Jesu‘ Gemeinde ist keine Komfortzone
VON Tanja Kasischke
Als kirchlicher dritter Ort hält der Expowal seit zwei Jahrzehnten betriebswirtschaftliche Aufgaben und spirituellen Auftrag in Balance. Dass er keine zugeordnete Gemeinde hat, ist ein Plus.
Hannover geht zum Wal. Die Grammatik stimmt. Sogar ein Kreuz kommt vor, das allerdings schon einer gesetzt hat, Jesus. Walsonntag ohne h heißt, an jedem ersten und dritten Sonntag des Monats ist Gottesdienst im Expowal. Das markante Wahrzeichen der Weltausstellung vor 25 Jahren ist heute ein so genannter dritter Ort der evangelischen-lutherischen Landeskirche Hannovers. Der Wal hat Platz für kirchliche und nicht-kirchliche Veranstaltungen, öffentliche und private Feiern mit oder ohne geistlichen Anlass. Seit vier Jahren spannt die Landeskirche den institutionellen Schirm über den Expowal und finanziert die Stelle von Pfarrer Mathias Kürschner.
Kirche barrierefrei
Schwimmen gelernt hat das Projekt indes bereits 2004, in Trägerschaft des Landesvereins für Innere Mission, einem landeskirchlich verbundenen, evangelischen Werk. Dessen Geschäftsführer Heino Masemann war Spiritus Rector des Wals und Wegbereiter für das, was Matthias Kürschner mit „Kirche geistig barrierefrei machen“ übersetzt.
Auf dem Parkett liegt noch Konfetti von einem runden Geburtstag am Vorabend. Ein paar Wochen zuvor, verrät der Theologe, habe der Deutsche Mittelstandsbund den Saal für die Jahresversammlung gemietet. Die obere Ebene ist schon für den Gottesdienst bestuhlt, die hölzernen Tragbalken des runden Dachs erinnern wirklich an Rippen, ein überzeugender Walbaucheindruck also. Ein festes Gemeindegebiet hat der Expowal nicht. Trotzdem (oder gerade deshalb) kommen durchschnittlich 130 Personen zum Gottesdienst, die meisten aus Hannover und den umliegenden Landkreisen Niedersachsens, einzelne aus Sachsen-Anhalt. Für alle anderen gibt es einen Predigtpodcast. Die Sommerpause im Juli und August ausgenommen, sind die Walgottesdienste das ganze Jahr über, auch im Winter. Dabei war der ovale Bau mit der stählernen Fluke als „Pavillon der Hoffnung“ für den reinen Sommerbetrieb während der Weltausstellung in Hannover gebaut worden.
Die Hoffnung macht Sommerpause
„Die Heizung wurde nachgerüstet“, sagt Mathias Kürschner. Die Betriebskosten, die Reinigung der Räume und alles, was sonst subventioniert werden muss, etwa das gemeinschaftliche Frühstück vorm Gottesdienst, gleichen die Vermietungen aus. Die Location ist beliebt, obwohl sie vergleichsweise abgelegen am Südzipfel des Messegeländes im Gewerbegebiet Expo-Park liegt. Zur U-Bahn ist es ein Fußmarsch von 20 Minuten, werktags hält eine Buslinie vor Ikea auf der gegenüberliegenden Straßenseite. „Die Menschen kommen mit dem Auto oder per Rad. Für jüngere Leute ohne Führerschein ist der Weg eine Einschränkung“, weiß der Pfarrer. Dafür ist kein Nachbar gram, wenn die Musik mal etwas länger laut ist oder die Feier nach draußen verlagert wird: Vor dem Expowal ist eine Freifläche ins Gelände eingelassen, das Amphitheater, auf seiner Rückseite unterhalb der Fluke liegt ein Seerosenteich mit Terrasse.
Kirche vermittelt oft den Eindruck, sie sei nur für sich selbst da.
Betriebswirtschaftlich ist der Expowal gut aufgestellt, besser als so manche Kirchengemeinde mit festen Bezügen. „Ich bin Unternehmer in einer konjunkturschwachen Branche“, definiert Mathias Kürschner. Er war zuvor Hochschulpfarrer in Potsdam und Gemeindepfarrer im Havelland in Brandenburg. „Ich habe es gut hier“, sagt er, „ich kann wilde Sachen machen.“ Neben den Walgottesdiensten, bei denen keine Kirchenzugehörigkeit vorausgesetzt wird, sind das der wöchentliche Walabend, der sich vor allem – aber nicht nur – an die 34 ehrenamtlich Mitwirkenden richtet und die Feierabendlounge für Mitarbeitende der umliegenden Firmen, vom Autoverkäufer bis zum Musikproduzenten. Mal übernimmt der Pfarrer die biblischen Impulse, mal greifen sie die Teilnehmenden auf und setzen sie in eigenen Worten fort.
Kirche bei den Menschen
Die Aufzählung ist noch nicht vollständig, macht aber deutlich: Eine Kirche, die netzwerkt, wirkt positiv in ihr Umfeld hinein. „Die Menschen wollen eine zeitgemäße Spiritualität“, beobachtet Mathias Kürschner, „die entwickeln wir hier.“ Das offene Haus und dass der Erwartungsdruck einer Ortsgemeinde wegfalle, unterstütze diese Haltung: „Kirche vermittelt oft den Eindruck, sie sei nur für sich selbst da. Jesu Gemeinde ist aber keine Komfortzone.“
Manchmal erschließt sich der missionarische Erfolg nachträglich: Den Filmabend „The Chosen“ bezeichnet der Theologe als krachend gescheitert. „Wir hatten geplant, einmal im Monat eine weitere Folge der Serie zu zeigen. Zum Auftakt strömten die Menschen. Bei Folge zwei kam fast niemand mehr – weil alle die Serie zu Hause gestreamt hatten. Die wollten nicht warten.“ Das Timing war ungünstig, das Format an sich tadellos.
Am Ende des Rundgangs durch den Bauch des Wals bekommt die biblische Jona-Geschichte, die im Profil der Location bis dato nicht vorkommt, ihre Chance: Mathias Kürschner löst auf, wofür das Mittelinitial J auf seiner Visitenkarte steht: „Johannes ist mein zweiter Vorname.“ Das war knapp. Doch die Gotteserfahrungen, die der Pfarrer im Expowal macht, haben es wie beim biblischen Jona in sich.
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AUTORIN · AUTOR
Dr. phil. Tanja Kasischke war Redakteurin des Reformationsblogs „Mensch, Martin!“. Seitdem berichtet sie über Themen der missionarischen Gemeindeentwicklung, der Öffentlichen Theologie und wie Kirche den Wechsel von der sprachlosen Parochie zum ansprechenden Netzwerk meistert. Sehr begeistert ist sie von der Wiederentdeckung des prophetischen Amts als Teil der apostolischen Dienstgemeinschaft. Sie lebt in Berlin.
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