Das Evangelium schmecken und fühlen
Das Evangelium schmecken und fühlen
VON Rüdiger Jope
Wie der SINNENPARK Menschen in einer alten Kirche berührt
Naumburg in Sachsen-Anhalt. Bekannt durch seinen Dom, der seit 2018 zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. Im Ostchor dieses Gotteshauses weihte am 20. Januar 1542 Martin Luther seinen Wegbegleiter Nikolaus von Amsdorf (1483–1565) zum ersten lutherischen Bischof. Doch die reformatorischen Glanzzeiten sind Schnee von gestern. 500 Jahre später zählen sich nur noch rund 10% der 31.000 Einwohner zur evangelischen Kirche. Schon zu DDR-Zeiten wurde daher begonnen Kirchengebäude aufgegeben. Eine von ihnen, im Schatten des Naumburger Doms, ist die Othmarskirche aus dem Jahr 1691. Ende der siebziger Jahre wurde sie entwidmet und zum Kirchenarchiv und Gemeindesaal umfunktioniert.
Glauben mit allen Sinnen
Doch seit drei Jahren sprudelt neues, geistliches Leben hinter diesen Mauern. Ich drücke die Klingel. Die alte Kirchentür öffnet sich und Christiane Walz begrüßt mich herzlich im „Erprobungsraum“. Wir steigen einige ausgetretene steinerne Treppenstufen nach oben und stehen plötzlich auf einer Weide. Eine Quelle sprudelt hör- und sichtbar. Weiße Plüschschafe grasen auf einer Weide, warten darauf in den Arm genommen zu werden. Davor steht ein großer Holztisch. An diesem bekomme ich einen heißen Kaffee serviert. Plötzlich sitze ich mitten in Psalm 23. Der SINNENPARK nimmt mich gefangen, wie die Jugendlichen und Erwachsenen, die hier die beste Botschaft der Welt mit allen Sinnen erleben.
Vor wenigen Jahren entdeckten Christiane und ihr Mann Oliver diesen wunderbaren Landstrich für sich. „Hier ist ein weites Land, hier ist viel Raum.“ Sie fragen sich: Will uns Gott hier vielleicht haben, mit uns etwas Neues starten? Ein Mentor rät ihnen: Tut das, wovon ihr redet und träumt. Zeitgleich löst die badische Kirche den SINNENPARK auf. Walzens übernehmen 40 Tonnen Material. Doch wohin mit den Resten der Segensgeschichte? Im Suchen nach einem geeigneten Ort, ruft sie der Wirtschaftsförderer der Stadt Naumburg an: Wie viel Platz braucht ihr? Übergangsweise kommen sie in einem Ladenlokal unter. Sie lernen die geschäftsführende Pfarrerin kennen. Die ist begeistert von dem Projekt SINNENPARK und der Idee „gemeinsam etwas für die Stadt zu tun“. Sie bietet ihnen die Othmarskirche als Spielwiese an.
Glauben drinnen und draußen
Walzens gründen einen kleinen Verein „Gebetshaus Burgenlandkreis“. Fünf Mal die Woche öffnen sie morgens die kleine Kapelle der Kirche für die Menschen der Stadt zum gemeinsamen Singen und Beten. Gleichzeitig bauen sie den Gemeindesaal so um, dass hier Ausstellungen wie der „Ostergarten“, „Menschen begegnen Jesus“, „Weihnachtszeitreise“, „Mensch Luther“ das Jahr über mit allen Sinnen erlebt werden können. Die Idee, „Gott, Jesus, den christlichen Glauben zu schmecken und zu fühlen“ kommt an. Lehrer:innen, die mit den Inhalten von Weihnachten oder Ostern wenig anfangen können, „sind glücklich und geben diese Themen, die ja im Lehrplan stehen, gerne an uns ab“, erzählt Christiane. Oliver pflichtet ihr bei. „Und wenn dann eine Mutter beim Blick auf die Krone, die in der Krippe liegt, ganz still wird und sagt: Das ist also Weihnachten“, bekommen wir feuchte Augen.
Die Othmarskirche wird zum heiligen und kreativen Raum, um Gott mit allen Sinnen zu erleben.
Walzens begeben sich aber auch vor die Kirchentür. Am Gründonnerstag bauen sie zusammen mit „der Tafel“ und der ACK ein langen Abendmahlstisch auf dem Marktplatz unter dem Motto „Jesus lädt ein!“ auf. Der Oberbürgermeister und der Landrat lassen sich blicken. Beim Naumburger Kirschfest sind sie auf dem Mittelaltermarkt mit einem Segenszelt präsent. Stimmen wie diese ermutigen sie weiter zu suchen, zu tüfteln, zu beten: „Ich kann es ja mal ausprobieren, auch wenn ich von der anderen Seite komme.“ Ein 75-Jähriger aus dem Altenheim nebendran besuchte kürzlich die Ausstellung. Er betrat das erste Mal in seinem Leben eine Kirche. „Wir haben hier nicht die ‚kenne-ich-alles-schon-Grundhaltung“, erzählt Christiane.
Glauben kreativ austüfteln
Den beiden ist die Leidenschaft für Menschen und das Evangelium abzuspüren. Hier im lokalen „Testlabor“ werden die Ausstellungen ausgetüftelt und verbessert. Oliver übersetzt mit Hilfe von KI Hörszenen ins Persische oder Syrische. Das sorgt für Tränen der Rührung, wenn Geflüchtete plötzlich biblische Wortwechsel in ihren Sprachen hören. Derzeit tüftelt das Paar mit einigen Mitstreitern an einer Dauer- und Wanderausstellung „Schöpfung und Pfingsten“.
Die Kaffeetasse ist leergetrunken. Die alten Kirchenmauern werfen das Plätschern der Quelle zurück. Die Othmarskirche wird zum heiligen und kreativen Raum, um Gott mit allen Sinnen zu erleben. Und ich bin mir sicher: Die Naumburger Ratsherren müssten sich heute in Glaubensfragen nicht mehr an Luther wenden, sondern werden in diesem Erprobungsraum in ihrer Stadt tragfähige Antworten finden.
SINNENPARK lokal in Naumburg und mobil in eurer Gemeinde:
www.sinnenpark.de/burgenlandkreis/
www.erprobungsraeume-ekm.de/initiativen/gebetshaus-burgenlandkreis/
Titeloto von Nijwam Swargiary auf Unsplash, Bilder im Inhalt von Rüdiger Jope
AUTORIN · AUTOR
Rüdiger Jope (Jg. 1969) ist gebürtiger Sachse, aufgewachsener Hesse, eingeheirateter Schwabe und heimatgewordener Westfale. Der gelernte Werkzeugmacher, studierte Theologe und Sozialpädagoge verantwortet als Chefredakteur im SCM Bundes-Verlag das Kirchenmagazin 3E und das Männermagazin MOVO „Was Männer bewegt. Was Männer bewegen“. Der Freizeitläufer lebt zusammen mit seiner Frau Ingrid und den zwei Kindern in Wetter/Ruhr.
3E ist Basecamp zum Anfassen
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