Die Kirche fährt noch Trabi

Die Kirche fährt noch Trabi

VON Rüdiger Jope

Von Veröffentlicht am: 11. Dezember 2025Kategorien: Alle, Unterwegs, Wildnis1560 Wörter8 min LesezeitAufrufe: 33Schlagwörter: , , , , , , , , , ,

Er ist Ultra-Triathlet und BWL-Professor: Dr. Thomas de Nocker. Das katholische Sein sog er mit der Muttermilch auf. Als Kind gehört Messdienersein für ihn dazu. Als Missionar auf Zeit in Südafrika lernte er den christlichen Glauben nochmals ganz anders und persönlich zu buchstabieren. Heute leitet er ein Beratungsunternehmen, welches sich auf Kirche spezialisiert hat.

Im Gespräch mit dem „Facharzt“ über den „kranken Patienten Kirche“

Wenn Sie einen radikalen Veränderungsprozess für die Kirche ausrufen dürften: Welcher bisher „heilige Gral“ müsste zuerst infrage gestellt werden – und warum?

Ich bin ganz vorsichtig, die Kirchensteuerfrage zu stellen. Die Kirchensteuerfrage ist nicht das Grundübel. Ohne sie wäre gar kein Geld mehr im System. Kirche versteht sich sehr, sehr stark als eine fast staatliche Organisation. So lange sie sich als eine Art Institution versteht, die auf Ewigkeit angelegt ist mit dem Berufsbeamtentum und langwierigen Regelungen, ist das ein Problem. Die bloße Fusion eines Kirchenkreises dauert fünfzehn Jahre. Diese Zeiträume haben wir heute eigentlich nicht mehr zur Verfügung. Kirche muss an Tempo zulegen, um in den radikalen Veränderungen, die eigentlich nötig sind, nicht unter die Räder zu kommen.

Die Kirche beklagt einen rapiden Mitgliederverlust, aber gibt es Ihrer Erfahrung nach Strukturen, die diesen Trend sogar (unbewusst) beschleunigen? Welche blinden Flecke tauchen in Beratungsgesprächen am häufigsten aus?

(spontan) Ein Problem ist, dass immer versucht wird, es allen Leuten recht zu machen. Wenn die Kirche ein Automobilunternehmen wäre, würde sie heute noch den Trabant produzieren, weil es ja noch Personen gibt, die dieses Auto gerne fahren, die den Trabi wertschätzen. Kirche sitzt im Bild gesprochen noch in Arbeitsgruppen und überlegt synodal, ob das Thema Elektromobilität nicht doch eines wäre, welches man vielleicht in den nächsten Jahren mal auf die Tagesordnung setzen sollte. Kirche ist herausgefordert mutige Entscheidungen zu treffen. Das ist schmerzhaft. Kirche wird Leute vor den Kopf stoßen müssen, die sich engagieren, die Mittel mitbringen, die sonntags noch in den Gottesdiensten sitzen. Der Knackpunkt ist: Man will Veränderung, aber man scheut den Konflikt.

„Kirche muss an Tempo zulegen, um in den radikalen Veränderungen, die eigentlich nötig sind, nicht unter die Räder zu kommen.“

Machen Sie es mal konkret …

In einem Ort im Westmünsterland sollte vor einigen Jahren eine von zwei Kirchen geschlossen werden, weil nur noch Bedarf für eine vorhanden war. Eine Bürgerinitiative ging auf die Barrikaden. „Diese Kirche ist wichtig!“ „Da sind wir getauft worden!“ „Da haben wir geheiratet!“ Doch in diese Kirche ging niemand mehr, die kostete nur noch Geld. Die Bürgerinitiative sammelte Spenden und Sponsorengelder. Acht lange Jahre wurde dieses Gebäude künstlich am Leben erhalten, dann ging der Initiative das Geld aus. Für einen hohen sechsstelligen Betrag wurde sich Zeit gekauft, ohne dass eine Perspektive oder ein Konzept vorhanden war.

Sie beraten seit Jahren Bistümer und Landeskirchen: Gibt es Innovationen aus der freien Wirtschaft, die die Kirche dringend übernehmen – und eine, die sie besser niemals übernehmen sollte?

(lacht) Was man übernehmen sollte, ist die Wirksamkeit in den Blick zu nehmen. Das ist nicht neu und auch nicht einfach. Kirche muss sich ehrlich machen. Ein Beispiel. Wir haben eine Jugendkirche. Die kostet im Jahr 700.000 €. Mit 6 Stellen erreichen sie vielleicht 70 Jugendliche. Ist das gut investiertes Geld, wenn wir damit theoretisch auch zehn Kitas unterhalten können? Wir brauchen ehrliche Diskussionen darüber, wie wir die begrenzten finanziellen, zeitlichen Ressourcen einsetzen. Was man nicht übernehmen darf, ist das Ganze in eine Exceltabelle zu stecken.

Was ist Ihrer Meinung nach die derzeit größte Illusion, die kirchliche Leitungsgremien in Veränderungsprozessen hegen?

Die eine Illusion ist, dass es eine Lösung gibt, die keinem weh tut. Man wird Entscheidungen treffen, mit denen man sich unbeliebt macht. Durch einen guten Prozess und gute Dialoge kann man die Konflikte abschwächen, aber Schmerzen bleiben. Es funktioniert nicht, dass wir so lange drüber reden, bis uns Gott allen das Gleiche sagt. Die andere Illusion ist, dass wir meinen, die Kirchensteuern fließen nach der Wirtschaftskrise wieder. Nein! Die Zeiten sind vorbei, wo wir mit Geld die Probleme lösen. Der finanzielle Rückgang verläuft zeitversetzt zum Mitgliederrückgang. Doch er wird wie eine Welle über die Kirche reinbrechen.

„Die eine Illusion ist, dass es eine Lösung gibt, die keinem weh tut.“

Sie arbeiten an der Schnittstelle von Theologie und Betriebswirtschaft. Wo gerät die Kirche beim Thema Change-Management in die größte Loyalitätsfalle gegenüber Traditionen?

Ein ehemaliger Kölner Generalvikar hat vor 20 Jahren in einem Interview gesagt: Wir haben beim letzten Sparprozess eigentlich alles so gelassen, wie es ist, denn der Heilige Geist hat doch mitgewirkt bei dem, was wir so alles machen. So kann man sich auch ganz leicht aus der Bredouille reden. Kirche hat immer den Blick darauf, was ist. Und alles, was ist, hat Bestandsschutz. Doch Kirche muss die Frage stellen: Würden sie heute noch, wenn Sie nichts hätten, dieses Bildungshaus ins Leben rufen, diese Kirche bauen, diesen Gottesdienst feiern …? Wenn die Entscheidung dann lautet: Würden wir eigentlich nicht machen, dann ist die entscheidende Frage doch: Warum ist es noch da, wenn es nicht gebraucht wird? Wenn alles, was da ist, Bestandsschutz hat, kann sich Kirche nicht weiterentwickeln. Eine Jugendpastor hätte für einen Jugendgottesdienst gerne eine Nebelmaschine. Der Haushalt der Pfarrei liegt bei mehreren Millionen €. Das Geld geht drauf für Sekretärinnen, Hausmeister, Gebäudeunterhaltung. Für die Anschaffung der Nebelmaschine ist dann kein Geld da, weil man nicht den Willen aufbringt, eine der sieben leeren Kirchen zu verkaufen. Und das nächste Problem ist …

Oje! Probleme, Probleme, Probleme!

Leider! Stellen Sie sich vor, der junge Pastor würde jetzt die Nebelmaschine kaufen. Und dann würde das Konzept des Jugendgottesdienstes nicht aufgehen. Dann heißt es dort jetzt immer bei neuen Ideen: Du hast vor zehn Jahren 1000 € für eine Nebelmaschine versenkt. Neun von zehn Innovationen gehen schief. Wir brauchen unbedingt eine Kultur des Probierens und pastorale Fuckup-Nights, Abende, an denen wir uns das Scheitern erzählen. Nur so kommt Kirche voran.

Wenn Sie für eine Woche Bischof oder Präses sein könnten: Welche entscheidende Maßnahme würden Sie sofort anstoßen, um die Kirche zukunftsfähig zu machen?

Ich will nicht tauschen. (lacht) Diese Jobs sind so anspruchsvoll. Wenn Sie Geschäftsführer eines Unternehmens sind, haben Sie viel Macht. Sie können große Entscheidungen treffen, Leute anstellen und entlassen. Der Jahresabschluss führt Ihnen vor Augen, ob Sie erfolgreich waren oder nicht. Kirchliche Führungskräfte hingegen müssen immer auf den Konsens achten, denn die Zahlen lassen sich nicht so einfach in Verlust und Gewinn umrechnen. Es ist total herausfordernd diesen Job zu machen, weil sie nur Softpower haben und in ganz vielen Gremien sitzen, die ihnen dann auch noch Steine in den Weg legen.

Von daher einfach weiter so?

(vehement) Nein, auf keinen Fall! Ich will niemanden entmutigen, aber ich würde noch deutlicher betonen, wo wir gerade stehen und den Angestellten, den Ehrenamtlichen und Gläubigen die Illusion nehmen, dass nicht alles so bleiben kann, wie es ist. Ich bekomme ganz oft Doppelbotschaft zu hören: „Ja, wir werden weniger. Wir haben weniger Geld, weniger Personal, weniger Räume zur Verfügung. Ja, es wird schlimm, ABER trotzdem werden wir ein kraftvoller Player in der Gesellschaft sein.“ Nein! Wir werden in zwanzig Jahren Kirche in Deutschland nicht wiedererkennen. Wir werden kleiner und müssen vieles aufgeben. Das wird richtig wehtun.

Das klingt ziemlich radikal?

Ist es auch! Doch eine Nachfolge Christi ist auch möglich, wenn wir 10 Milliarden € weniger Kirchensteuer haben. Das machen uns doch die Kirchen in vielen anderen Ländern der Erde vor.

Was ist für Sie die Ursache dieses tiefgreifenden Wandels? Wird zu wenig evangelisiert, zu schlecht gepredigt?

Nein, so einfach ist es nicht. Vor hundert Jahren wurde nicht mehr evangelisiert oder besser gepredigt. Nein, wir stecken in einer gesellschaftlichen Transformation. In den 50ern waren die Kirchen eine sozial verpflichtende Organisation. Da hat sich niemand gefragt, ob er in die Kirche geht. Mein Vater besuchte als Kind natürlich jeden Sonntag den Gottesdienst. Für mich gehörte es noch dazu, Messdiener zu sein. Das ist heute nicht mehr so. Die Tradition, das Muss, hat sich total aufgelöst. Gegen die Wahlmöglichkeit, die uns die freiheitliche Gesellschaft jetzt anbietet, kann Kirche nichts machen. Die Frage danach ist, wo ergeben sich Haltlinien. Und die haben punktuell etwas mit Qualität, Beziehung, Einsatz … zu tun. Und darüber können wir ins Gespräch kommen.

Wo steht die Kirche in zwanzig Jahren?

Papst Franziskus hat Kardinäle ernannt aus politisch unbedeutenden Bistümern. Er wollte damit deutlich machen: Hey, in euren kleinen Diözesen wird total viel Gutes gemacht. Er hat damit Kirchen, die an den Rand gedrängt werden, die wenig Mittel haben, die arm sind, in den Fokus gestellt. Kirche kann auch dort wirkmächtig, friedensstiftend, sinnstiftend und sozial prägend sein, wo sie klein ist. Natürlich wird am Ende im theologischen Sinne alles gut, das entbindet uns jedoch nicht davon, strategisch nach vorne zu schauen und mutige Entscheidungen zu treffen.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Fotos von Rüdiger Jope und Václav Pechar auf Unsplash

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