Reden, reden, reden

Reden, reden, reden

VON Dr. Klaus Neumeier

Von Veröffentlicht am: 28. Oktober 2025Kategorien: Alle, Dossiers, Kooperationsräume1647 Wörter8,5 min LesezeitAufrufe: 228Schlagwörter: , , , , , , ,

Erfahrungen auf dem Weg zur fusionierten Gemeinde

Frühjahr 2025: Meistens melde ich mich am Telefon inzwischen richtig: „Klaus Neumeier, Evangelische Auferstehungsgemeinde Bad Vilbel …“
Nach über 30 Jahren Pfarrer-Sein in der „Ev. Christuskirchengemeinde Bad Vilbel“ ist das schon eine Umstellung. Seit dem 1. Januar dieses Jahres sind die vier bislang selbständigen EKHN-Gemeinden unserer Stadt eine gemeinsame Gemeinde. Bereits wenige Tage nach Ende der Weihnachtsferien hatten wir die erste gemeinsame Kirchenvorstandssitzung mit nun rund 30 Kirchenvorstandsmitgliedern: Alle bisherigen KV-Mitglieder behalten in unserer Landeskirche ihr Mandat bis zur nächsten Wahl. Etwa ein Drittel aber hat verzichtet, ansonsten wären wir fast 50 gewesen. Die erste Sitzung war von der Fusions-Steuerungsgruppe sehr gut vorbereitet und die vielen Beschlussvorschläge lagen allen lange schriftlich vor; sehr viel Transparenz und ebenso viel Kommunikation waren und sind uns wichtig. So ging alles sehr zügig und einvernehmlich und wir konnten bald zum Sekt kommen und den Neuanfang feiern!

Ein langer Weg zum Sekt

Das war auch das Motto am dann folgenden Festwochenende: Es gab einen Konfirmanden- und Jugendgottesdienst im einen Teilbereich der Gemeinde, ein Kinder-Event im zweiten, ein „Orgel-Glühen“-Konzert mit Feuerzangenbowle und Zusammensein im dritten Gemeindebereich und den Festgottesdienst mit Empfang und Grußworten aus Kirche, Ökumene und Politik in der Christuskirche in der Bad Vilbeler Kernstadt. Jede einzelne Veranstaltung war gut besucht und ein echter Mutmacher.

Aber der Reihe nach und zunächst einmal ein Blick zurück auf die vergangenen rund 10 Jahre evangelisch-kirchlicher Arbeit. Wo kommen wir her und wer sind wir eigentlich: Bad Vilbel liegt rund 10 km. nördlich von der Frankfurter Innenstadt und so wurde hier in den vergangenen Jahrzehnten sehr viel gebaut für Menschen, die meist in Frankfurt arbeiten. Gerade mit Gründung der Familie ziehen viele ins nahe Umland. Die Stadt hat sich so sehr verändert und in allen Ortsteilen gab es große Neubaugebiete. Werden Menschen heimisch? Auch in der Kirche? Kinder bieten eine Chance, aber wird sie genutzt? In der Kernstadt liegt die Christuskirche und beheimatete rund die Hälfte aller Evangelischen. Hier gab es eine sehr große Konstanz bei haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden und damit eine sehr kontinuierliche Gemeindeaufbauarbeit. Aber auch in den kleineren Gemeinden in den Ortsteilen Dortelweil, Heilsberg und Massenheim gab es gut erkennbare Schwerpunkte der Gemeindearbeit. Aber wie fast überall gab es oft auch die skeptischen Blicke nach rechts und links: Was machen die da? Der benachbarte Kirchturm wird oft am kritischsten beäugt. Schade natürlich, aber so sind wir Menschen eben oft – und nicht nur in der Kirche!

Der benachbarte Kirchturm wird oft am kritischsten beäugt.

Zugleich gab es aber schon lange Zusammenarbeit: Zwei Gemeinden waren intensiv in der Konfirmanden- und Jugendarbeit verbunden, Hauptamtliche kamen immer häufiger im Stadtkonvent zusammen und Ehrenamtliche im „Rat der Gemeinden“. Gemeinsame Gottesdienste wurden entwickelt und insbesondere 2017 das Reformationsjubiläum mit umfangreichem Programm gemeinsam gefeiert. Erste gemeinsame Erfahrungen wurden gemacht und sie waren gut! – Und das ist ein übertragbarer Tipp: Fangt mit gemeinsamer praktischer Arbeit an: Gemeinsame Gottesdienste zu Himmelfahrt oder groß am Pfingstmontag, zum Reformationstag oder am Buß- und Bettag… Gemeinsame Erfahrungen verbinden auch über andere Frömmigkeitsstile und Gemeindekulturen hinweg.

Dann kam Anfang der 20er Jahre die landeskirchliche Reformwelle an der Gemeindebasis an – und sehr schnell wurde deutlich: Hier geht es nicht um eine Reform des Bestehenden, nicht um Optimierung, hier geht es um eine Transformation des Bisherigen in etwas Neues. Die Gründe waren schmerzlich, aber ebenso klar und einleuchtend – und sie sind letztlich überall gleich:

  • Rund halb so viele Kirchenmitglieder wie vor rund 40 Jahren, deswegen:
  • Weniger hauptamtliches Personal bei Pfarrpersonen und anderen
  • Weniger Gebäude, die gesamtkirchlich und vermutlich auch vor Ort finanziert werden können
  • Weniger Gottesdienste und ein gemeinsam entwickeltes Gottesdienstkonzept für die Nachbarschaftsregion

Der Glaube kommt vor der Struktur

Im Januar 2023 fuhren wir mit allen rund 50 Kirchenvorstandsmitgliedern und den Hauptamtlichen im Gemeindedienst auf ein Klausurwochenende. Eine gemeinsame Steuerungsgruppe aller vier Kirchenvorstände hatten es vorbereitet und mit Dr. Steffen Bauer begleitete uns der bisherige Leiter der EKHN-Ehrenamtsakademie; er hat großen Anteil am sehr guten Prozess, der damals begann. Und als wir dann gemeinsam im Tagungshaus waren, da ging es nicht um Kirchenstrukturen, sondern um unseren Glauben: Was trägt mich? Wer ist Gott für mich? Was bedeutet mir mein Glaube, mein Gottvertrauen? Wir haben uns erzählt, was uns wichtig ist. Wir waren als geistliche Menschen unterwegs und nicht als Strukturmanager. Ein sehr wertvoller Anfang. Dann aber ging es schließlich doch auch um Strukturen und wir haben im großen Saal die verschiedenen möglichen Rechtsformen mit ihren Leitungsorganen nachgestellt:

Arbeitsgemeinschaft als lockerer Verbund, die Gesamtkirchengemeinden als Verbindung weiterhin bestehender Ortskirchengemeinden, die Fusion zu einer Gemeinde. Die Darstellung im Raum ließ gut erkennen, welche komplexen (Doppel-)Strukturen eine Arbeitsgemeinschaft bedeuten … Entschieden aber haben wir auf dem Klausurwochenende bewusst nichts: Das gehörte noch in die vier getrennten Kirchenvorstände und auch nicht auf ein inhaltlich ausgerichtetes Wochenende! Eine klare Tendenz zur Fusion aber war schon erkennbar: Einfache und klare Strukturen, damit so viel Energie wie möglich in die inhaltliche Arbeit und das geistliche Miteinander fließen kann! Doppelstrukturen vermeiden hieß das Motto.

Getrennt und zusammengehalten in der Steuerungsgruppe und auch im Stadtkonvent der Hauptamtlichen ging es weiter in den Sommer hinein, als – landeskirchlich terminiert – mit einem Prozess für die Kategorisierung aller gemeindlichen Gebäude (Kirchen, Gemeindehäuser, Pfarrhäuser, ggf. weitere Häuser) ein sehr schwieriger Bereich in den Fokus geriet: Gebäude sind mehr als nur „tote Steine“. In ihnen machen wir unsere prägenden Glaubens- und auch Gemeinschaftserfahrungen, Gebäude sind mit vielen Emotionen verbunden; das wird landeskirchlich oft unterschätzt. Aber es war einsichtig und unstrittig: Landeskirchliche Baukosten müssen eingespart werden und diverse Gebäude wurden nur in „C“ einsortiert. Wir waren am Prozess beteiligt und haben dem Ergebnis zugestimmt – nicht ohne diverses Bauchgrummeln an verschiedenen Stellen. Ja: Es gibt bei diesem Prozess „Gewinner“ und „Verlierer“ – aber wir haben uns nicht auseinanderbringen lassen.

Verlustängste benennen

Wie ist uns das gelungen und wie konnte der Prozess zur Fusion bis zum nächsten Klausurwochenende im Januar 2024 erfolgreich weitergeführt werden: „reden, reden, reden“! Nicht übereinander, sondern miteinander. Gefühle wie Neid und Abgrenzung, Verlustängste und Abschiedsschmerz müssen sein dürfen, aber sie dürfen nicht die Oberhand gewinnen. Ansonsten können wir einen Prozess nicht gut und zukunftsorientiert nach vorne bringen. Wir haben viel miteinander gesprochen. Zu zweit, in kleinen Gruppen und Teams, in der Steuerungsgruppe und in den immer mehr entstehenden Arbeitsgruppen. Vertrauen kann nur wachsen, wenn wir einander vertrauen lernen – und dafür müssen wir „reden, reden, reden“, denn nichts steht einem guten Miteinander mehr im Weg als tradierte Vorbehalte. Und dann sind es ja oft Missverständnisse, die uns im Weg stehen. Von all dem hatten wir jede Menge – es sind hier eben ganz normale Menschen unterwegs …

Wir waren als geistliche Menschen unterwegs und nicht als Strukturmanager.

Anfang 2024 ging es aufs zweite große Klausurwochenende im bewährten Setting – und wir hatten uns erneut inhaltliche Arbeit vorgenommen: Ein Name für die gemeinsame Gemeinde sollte gefunden werden (die Fusion als Rechtsform war inzwischen beschlossene Sache), ein geistlicher, inhaltlicher Name sollte es sein, mit dem wir uns hoffentlich alle identifizieren können. Es war ein spannender Prozess mit vielen Vorschlägen und manchem Gedanken: Wie soll das funktionieren. Aber am Samstagabend gab es bei der ersten Abstimmung der drei Namensfavoriten ein klares Ergebnis: Wir werden die „Ev. Auferstehungsgemeinde Bad Vilbel“.

Und damit begann das letzte Jahr vor dem Inkrafttreten der Fusion! Die Hauptamtlichen des Verkündigungsteams fuhren auf eine gemeinsame Klausur, um viele Fragen des neuen Miteinanders zu besprechen. Die Protokolle der jetzt monatlich tagenden Steuerungsgruppe wurden immer länger und die eingesetzten Arbeitsgruppen vielfältig. Die Fülle der notwendigen Absprachen und Klärungen ist tatsächlich immens… Neben den Strukturen der Gemeinde selbst kamen begleitende Fragen: Zum Beispiel änderte der größte Förderverein seine Satzung auf die neue Gemeinde hin und nahm andere Vereine und Förderkreise mit auf. In der Öffentlichkeitsarbeit wurde ein gemeinsames Logo zum Namen entwickelt und aus vier Gemeindebriefen ein zeitgemäßes Evangelisches Magazin konzipiert – und dann Angebote eingeholt für Layout und Druck. Dazu ein gemeinsamer neuer Newsletter, Social-Media-Auftritte und vor allem eine neue Webseite. Und was ich hier beispielhaft beschreibe, das gilt für alle Gemeindebereiche: Verwaltung, Finanzen, Bauen, Konfirmandenarbeit, Gottesdienste… Ja: Es war sehr (!) Arbeit in 2024. Aber wir haben uns ausdrücklich gesagt und uns gegenseitig immer wieder bestätigt: Wir wollen alles zügig klären, um schnell zur eigentlichen Gemeindearbeit zu kommen; dafür sind wir auch als neue Gemeinde schließlich da.

Transparenz & Gebet

A propos Gemeinde: Circa alle sechs Monate haben wir in allen vier Gemeinden zu Gemeindeversammlungen eingeladen und über den Fortgang berichtet und Fragen beantwortet. In den bisherigen Gemeindebriefen wurde ebenso regelmäßig berichtet und auch in der lokalen Presse: Ziele erläutern, Gründe erklären, Entscheidungen transparent machen… es kann kaum zu viel Transparenz und Kommunikation auch in die Gemeinde(n) hinein geben! Tatsächlich gab es viel weniger öffentliche kritische Rückfragen als wir erwartet hatten; wir sehen das als Erfolg des Kommunikationskonzeptes.

Abschließend noch ein Wort zur Leitungsstruktur: Die Geschäftsordnung für den neuen Vorstand wurde schon im vergangenen Sommer entwickelt und sie hat ein klares Ziel: Alle Arbeitsbereiche sollen mit sehr eigenständigen Ausschüssen dezentral arbeiten, aber regelmäßig mit Protokollen in den Kirchenvorstand berichten. „Flaschenhälse“ – ob strukturell oder personell – wollten wir unbedingt vermeiden. Auch das wurde immer wieder besprochen und erklärt und wird bislang von allen sehr gut gelebt. Aber: Wir sind noch am Anfang – ich hoffe und bete, auch in einem Jahr mit ebenso viel Zuversicht nach vorne zu schauen! Und gerne ermutige ich mit diesem Beitrag andere, sich aufeinander einzulassen und Kooperation, Fusion und Zusammengehen zu wagen – trotz und mit allen Unterschieden in Tradition, Frömmigkeit und Gemeindearbeit!

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