Eine Anleitung zum Unglücklichsein
Eine Anleitung zum Unglücklichsein
VON Patrick Todjeras
Oder: wie wir aus dem Widerstand gegen Kooperationsräume herausfinden
Wie lernt man etwas so, dass man es sich merkt? Wie muss man etwas erleben, damit es als Lernerfahrung verbucht wird und es dann im eigenen Handeln „greift“ und Wirkung entfaltet? In der Motivationstheorie gibt es, neben anderen Wegen, einen höchst eigenwilligen Weg. Man nennt ihn Reaktanz. Damit ist eine Art umgekehrte Psychologie gemeint. Wenn nämlich Spielräume enger und eliminiert werden, weckt dies die Reaktanz, also die Motivation, Freiräume wiederherzustellen. In meinen etwas einfachen Worten: Mein Antrieb ist mein Widerstand.
Die Energie des Dagegen
Weil mich etwas nervt, bedrängt, einengt, löst es in mir die Motivation (und Energie) aus, mich dagegen zu stemmen. Und noch mehr, es löst produktives Handeln aus. Bei Reaktanz geht es nicht nur um den widerständigen Kampf gegen Verengung, sondern darum, einen neuen Weg zum Gedeihen zu finden. Vielleicht kennst du das aus dem eigenen Leben: „Weißt du noch damals, als wir mit dem Rücken zu Wand standen und es dennoch geschafft haben?“ Damit sind Lernerfahrungen verbunden, die „gegriffen“ haben, sich eingebrannt haben, wenn man etwas überwunden hat.
Probieren wir es doch mal anhand des hochaktuellen Themas Kooperationsräume aus. Hier nun eine unvollständige Anleitung zum Unglücklichsein in Kooperationsräumen, eine Hilfestellung für Kirchenleitende in ihrem Bemühen, kirchliche Kooperationsräume zu etablieren:
- Sag den Pfarrpersonen, dass sie mehr machen sollen. Nicht mehr nur 4 Taufen, 11 Beerdigungen, 2 Konfi-Gruppen, sondern jetzt sind sie verantwortlich für 8 Taufen, 22 Beerdigungen und 4 Konfi-Gruppen. Sie müssen es tun, ob sie wollen oder nicht, verkaufe es ihnen als Solidaritätsakt und beschwöre ihre Opferbereitschaft für den Dienst. Oder noch besser:
- Sag den Pfarrpersonen, dass sie in Kooperationsräumen nun andere Dinge tun sollen, dass sich ihr Profil – ja noch besser: das Pfarrbild – ändert, achte darauf, es nicht konkret werden zu lassen. Lass sie im Ungewissen, in dieser dunklen Vorahnung, dass sie einen Verlust erleben werden aber nicht wissen, wann und wie es weitergeht.
- Verordne Kooperationsräume. Egal ob die Akteure und Akteurinnen harmonieren, was nicht passt, wird passend gemacht, schließlich ist ein Großteil des bezahlten Personals verbeamtet. Beamte setzen Entscheidungen um. Bums aus Nikolaus.
- Kommuniziere so wenig wie möglich und lasse die Beteiligten in Unsicherheit und im Dunkeln. Versuche so viel wie möglich über Bescheide und Dekrete zu kommunizieren und formuliere Entscheidungen als absolute wirtschaftliche Notwendigkeit. Lass immer zuerst die Kirchenjuristen kommunizieren, dann die Kirchenwirtschaftler und dann die OE-Berater.
- Versprich mit Kooperationsräumen eine Verwaltungsvereinfachung und vermehre gleichzeitig die Berichtspflichten.
- Zentralisiere geistliches Personal und baue lokales geistliches Leben zurück, wer vor Ort nicht mitmacht, soll eben in die Nachbargemeinde fahren.
- Belohne die starken Player und bestrafe die schwachen Akteure in Kooperationsräumen.
- Rufe den gesitteten Gemeinde-Kannibalismus aus. Wenn eine Gemeinde zu klein wird, zerschlage sie und löse sie auf und füttere „die Reste“ den Nachbargemeinden zu.
- Sag den Ehrenamtlichen, dass es nun auf sie ankommt. Sie müssen nun „ran“ und den Karren aus dem Dreck ziehen – aber bitte nicht mit eigenen Ideen.
- Für Innovation ist jetzt keine Zeit mehr und kein Geld da – stoppe Erprobungsräume, Innovationsvorhaben und die Lust an Kreativität.
Ich weiß nicht so recht, ob dir das hilft, ob das in dir Motivation auslöst, dir Antrieb gibt, produktiv zu handeln? Was diese Irritationen zumindest tun: Sie führen in die Enge. Was, wenn diese Enge auch eine Einladung wäre. Eine Einladung, ganz bei mir zu sein, eine Einladung aus dem Hamsterrad der Erwartungen auszusteigen und einfach mal da zu sein? Durchatmen, im Jetzt sein, wieder anfangen mich zu spüren. Was, wenn ich auf die Frage zurückgeworfen bin: Warum bin ich hier? Wie geht’s mir?
Eine zentrale Aufgabe bei Transformations- und Gestaltungsprozessen ist es auf unser Herz zu schauen.
Ich glaube, dass wir auch beim Thema Kooperationsräume die entscheidenden Schritte nicht auf der Ebene der Methoden, der Werkzeuge und deren Anwendung machen. Natürlich gibt es hier genug Richtiges, was getan werden muss. Aber die entscheidenden Schritte werden auf einer anderen Ebene gegangen. Ich frage einmal so: Was, wenn du die wichtigste Ressource in Veränderungsprozessen bist? Was, wenn du das wichtigste „Asset“ in Transformationen bist? Was, wenn es bei dir und mit dir beginnt. Dann bewegen sich die systemischen Fragen in Kooperationsräumen auf einmal auf einer ganz persönlichen Ebene: Reaktanz fragt danach, ob ich über eine Vorstellung von Freiheitsspielräumen verfüge, und ob ich Freiheitsspielräume für wichtig empfinde.
Eine Frage des Herzens
Die genannten Punkte sind alle Fragen des Herzens, die sich mit meinen Freiheitsspielräumen beschäftigen. Was prägt eigentlich meine Vorstellung meiner Freiheitsspielräume? Was motiviert mein Handeln? Was macht mir Freude? Was quält mich? Wie gehe ich mit Zurückweisung um? Lasse ich andere aussprechen und verstehe ich, was sie sagen und was ihr Anliegen ist? Wie geht es mir mit Überforderung? Wie geht es mir mit Neid? Welches Bild von Größe und Erfolg habe ich eigentlich? Welches Bild von Scheitern habe ich – habe ich davor Angst? Was ist genug? Das alles sind Fragen, die den Garten unseres Herzens betreffen. (Sprüche 4, 23)
Ich denke, das ist eine zentrale Aufgabe bei Transformations- und Gestaltungsprozessen, nämlich auf unser Herz zu schauen, zunächst mal auf unser eigenes Herz und dann Herzensbildung zu betreiben. Denn dort entstehen Freiheitsspielräume, werden Vorstellungen kultiviert, dort gewinnen wir die eigentliche Energie für unser Handeln. Vielleicht sind die Irritationen, die im Zusammenhang mit Kooperationsräumen erlebt werden, auch eine Einladung.
Und ja, natürlich muss man Dinge auch richtig machen. Wenn man die Aussagen der oben genannten Anleitung zum Unglücklichsein ins Gegenteil verkehrt, kann man den Weg einer fruchtbaren regio-lokalen Kirchenentwicklung beginnen, wie sie Michael Herbst und Hans-Hermann Pompe beschrieben haben. Natürlich könnte man Fehler vermeiden, doch vielleicht werden der eine oder die andere in der entstehenden Enge auch zu etwas Heiligem geführt.
AUTORIN · AUTOR

Pfarrer Dr. Patrick Todjeras ist Direktor des Instituts zur Erforschung von Mission und Kirche (IMK) und Rektor des Werks für Evangelisation und Gemeindeaufbau in der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich.
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