Kirche sieht Land

Kirche sieht Land

VON Tanja Kasischke

Von Veröffentlicht am: 1. Dezember 2025Kategorien: Alle, Unterwegs, Wildnis828 Wörter4,2 min LesezeitAufrufe: 139Schlagwörter: , , , , , , ,

Was der Segen am Jabbok für die Tiefenbohrung an der Spree bedeutet: Das Zentrum für Dialog und Wandel in Cottbus erweist sich als Ankerpunkt in einer vom Strukturwandel bestimmten Region.

Wer mit sich ringt darf Segen erwarten. Die biblische Geschichte von Jakob am Jabbok hat in der Lausitz im östlichen Brandenburg Symbolcharakter: Durch Cottbus fließt auch ein Fluss, die Spree, und der die Stadt umgebende Landkreis führt sogar zwei Flüsse im Namen, Spree und Neiße. Es ist eine Region im Wandel, einer der größten Transformationsorte Deutschlands, der Kraft braucht und immer in Habacht-Stellung ist, Anflüge von Verzweiflung abzuwehren. Was Jakob als Einzelnen trifft, betrifft hier alle – nicht allein Christinnen und Christen. Das Zentrum für Dialog und Wandel der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg schlesische Oberlausitz (EKBO) in Cottbus ist die Einladung, durchs Brennglas für Segen zu blicken. Leiterin Dorothee Land beobachtet, dass sie nach dem „Sprung in den Staub“ keineswegs im Nichts gelandet ist.

Frau Land, die Konferenz „Prozesse des Wandels in Kirche und Gesellschaft“ ist die erste Veranstaltung mit dem Zentrum als Gastgeberin. Was kann Kirche beitragen, dass Veränderungen als etwas Gutes wahrgenommen werden?

Zuerst, indem sie Menschen zuhört und sie wahrnimmt. Wir haben nicht die Absicht, ihnen mit vorgefertigten Angeboten zu kommen. Wir bringen die geistlichen Quellen ein, aber so, dass die Person sichtbar wird und bleibt. Heißt, ich schöpfe auch aus der Quelle. Eine solche ist die Zusicherung: Wir sind nicht alleine unterwegs. Die christliche Haltung ist, um einen Essay von Wolfgang Beck zu zitieren, der „Sprung in den Staub“.

Sie sind die erste, die gesprungen ist?

In meinem Team ja. In der Lausitz nein, da gab es schon viele Initiativen und Vereine zum Strukturwandel. Ich habe im Februar 2024 in Cottbus angefangen und bekam direkt signalisiert: Es ist gut, dass ihr da seid.

„Ihr“ – als Kirche?

Genau. Die Menschen sehen Kirche immer noch als Vermittlerin und mit ihren Räumen als Orte für Begegnung und Dialog, als bedeutende Akteurin in der Zivilgesellschaft. Da können wir selbstbewusster werden und sollten uns mehr für das interessieren, was andere tun.

Das geläufigere Narrativ der Institution Kirche ist aber Selbstverzwergung.

Darüber wird an anderer Stelle nachgedacht, nicht hier an der Basis. Da sind die Herausforderungen völlig andere. Genau genommen war Kirche im Osten Deutschlands immer eine Minderheit. Trotzdem hatte sie ihren „Markt“. Sie war auch minderheitlich wirksam. Dieser Frage müssen wir uns stellen: Wie gehen wir heute auf den „Markt“?

Indem Sie Kirchenräume öffnen und dadurch kontextuell wirksam machen?

Ja, das ist eine Idee, die wir auf der Konferenz ansprechen im Geist der Runden Tische. Aber unter dem Aspekt der Einladung und einer guten Gesprächskultur. Kirchen haben Brückenfunktion für das Gemeinwesen. Themen geben wir nicht vor, wir entwickeln sie gemeinsam.

„Kirche war im Osten Deutschlands immer eine Minderheit. Trotzdem hatte sie ihren Markt‘“

Wie wollen Sie die Ergebnisse der Konferenz verwenden, als Themen für die Jahresplanung des Zentrums 2026?

Durchaus denkbar, ja. Als Pool für Tiefenbohrungen.

Die Konferenz ist in Brandenburg an der Havel. Das Zentrum hat seinen Sitz in Cottbus, ist aber für die gesamte Fläche ländlicher Räume der Landeskirche zuständig. Der Strukturwandel betrifft die Lausitz gleichwohl am stärksten. Wie schwer hat es Kirche, von Hoffnung zu sprechen, wenn die Menschen verunsichert sind?

Menschen richten sich gerne in Vertrautem ein. Bricht Vertrautes weg, suchen wir alle nach Sicherheit und Bestätigung. Unser christlicher Glaube kann dort ansetzen und wir eigene Lebenserfahrungen einbringen statt abstrakter theologischer Formeln. Wenn man im Moment der Verzweiflung auch schon einmal einen Psalm gebetet und die Wirkung als heilsam erfahren hat, ist das menschlich und erzählt von der Liebe Gottes.

Biblische Erzählungen konkurrieren in der öffentlichen Wahrnehmung mit der Aussage, die Zukunft der Kirche sei diakonisch – und liege eher in den Werken und sozialen Einrichtungen als im Reden von der Liebe Gottes.

Wir sind biblisch gegründet. Insofern war und ist Kirche immer auch diakonisch. Biblische Erzählungen sind ein unverzichtbarer Quellgrund für diakonisches Handeln. Kirche und Diakonie sind kein Gegensatzpaar, sondern beziehen sich aufeinander.

„Kirche und Diakonie sind kein Gegensatzpaar, sondern beziehen sich aufeinander.“

Vor wenigen Tagen haben wir den 36. Jahrestag des Mauerfalls begangen. Wo haben Sie den 9. November 1989 erlebt?

Zuhause in Halle an der Saale. Wir waren damals eine junge Familie, mein Mann war bereits im Pfarrdienst, unsere Tochter zwei Jahre alt. Nach Berlin zu fahren, war unmöglich. Aber wir haben die Ereignisse gebannt am Fernseher verfolgt.

Fotos: Knut Burmeister, ALLTAG

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