Wenn Gott coworkt: Das Ende einer mutigen Idee in Iserlohn
Wenn Gott coworkt: Das Ende einer mutigen Idee in Iserlohn
VON Rüdiger Jope
Wo früher Kaffeemühlen klackerten, sprudelte zuletzt soziales Engagement und Glaube in neuer Form. „Frohet Schaffen“ – Deutschlands erster sozialer Coworking Space – wollte Kirche mitten ins Viertel bringen. Doch Ende 2025 gehen hier die Lichter aus. Was bleibt von einer Vision, die Gesellschaft verändern wollte?
Die Obere Mühle in Iserlohn ist ein dreigeschossiger Ziegelbau im Stil der Industriearchitektur des „Neuen Bauens“. Hier wurden bis zu 200.000 K & M-Kaffeemühlen mit dem typischen Schiebeblechtrichter jährlich gefertigt. 1980 war Schluss. Nach jahrelangem Dämmerschlaf wurde das Kulturdenkmal saniert – und neues Leben zog ein. Seit 2021 beherbergt das Gebäude „Frohet Schaffen“, den ersten sozialen Coworking Space Deutschlands. Helle Holzdielen, PC-Arbeitsplätze, plüschige Sessel und eine gelbe Telefonzelle prägen das Ambiente. Ich rühre in meinem frisch gebrühten Cappuccino. Mein Gegenüber krault sich im Bart: Jonte Schlagner. Sein Herz schlägt fürs Netzwerken, gute Gemeinschaft, Gerechtigkeit, Kaffee und Jesus.
Brücken bauen im sozialen Brennpunkt
Jonte und seine Mitstreiterinnen sind angetreten, „gemeinsam mit den sozialen Playern unserer Stadt sowie den Bürgerinnen aus unserem Viertel sozial-transformative Prozesse anzustoßen und mitzugestalten“. Dafür wurde analysiert und beteiligt. Sie bauten Brücken zwischen sozialen Trägern. Durch Projekte und Aktionen stärkten sie das Gemeinschaftsgefühl im Viertel und setzten hier und dort Hoffnungspunkte im problematischen Quartier. Das obere Stockwerk der alten Kaffeemühlenfabrik entwickelte sich zum Anlaufpunkt für die Quartiersarbeit. Es ist der Netzwerkort für Planung, Workshops und Lobbyarbeit. Von hier aus geht’s los an die wichtigen Spots im Stadtteil, um Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu ermutigen, „ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, es aktiv anzupacken und zu gestalten“.
Haben sich in den vier Jahren alle Probleme gelöst? Mitnichten. Der städtische Sozialbericht verrät: Die Probleme haben sich multipliziert – Arbeitslosigkeit, Zuwanderung, Preissteigerungen, Radikalisierung. Eine präventive, soziale Arbeit, die Begegnung unter Menschen schafft, scheint dringender denn je nötig. Doch es mangelt an Geld. Haushaltssicherung der Kommune, Sparrunden in der Kirche. Die Quartiersarbeit trägt sich finanziell nicht. „Die Anschübe waren da, aber die Nachfinanzierung, da fehlt’s dann halt“, bilanziert der Diakon schulterzuckend.
Kirchesein bei den Menschen
Stille. Die westfälische Kirche zeichnet das Innovationsprojekt aus. „Frohet Schaffen“ wird gefeiert als Raum von Kirche, der im Sinne von Dietrich Bonhoeffer nahe bei den Menschen ist, sich für sie engagiert, Gemeinschaft schafft und konkret für Weltveränderung eintritt. Doch der sogenannte dritte Ort, der nicht klassische Kirche ist, in dem beim Coworking über Gott und die Welt gesprochen wird, der „die Umgebung mit guten Werten auflädt“, kommt im Stellenplan nicht vor.
Jonte rührt nachdenklich in seinem Kaffee. Ich spüre, ihm blutet das Herz – und doch hat er seinen Frieden gemacht. Mir gegenüber sitzt ein gelöster, reflektierter, gelassener Initiator, der dankbar ist für das, was geworden ist. Gott hat hier etwas Schönes gemacht. Räume verströmen Wertschätzung, Liebe, Kreativität. Veranstaltungen atmen Gemeinschaft, Annahme, Liebe, Glaube und Hoffnung. Jonte ist völlig entspannt, denn Gott ist es, der seine Mission macht – trotz der Kirche.“ Er schmunzelt: „Gott bleibt auch ohne mich im Stadtteil. Dinge sind es wert, getan zu werden, auch wenn sie nicht ewig funktionieren.“ Groll? Fehlanzeige. Enttäuschung? Ja. Der Kreative wünscht sich eine „mutigere Kirche, die träumt, die sich rausbegibt, Liebe und Zeit verschenkt, Beziehungsräume für die Menschen im Stadtteil anbietet.“
„Gott ist es, der seine Mission macht – trotz der Kirche.“
Die Wanduhr tickt unaufhörlich runter. Sie zeigt fünf nach zwölf. Ende 2025 sind die Projektmittel aufgebraucht. Auch wenn der Trägerverein gerne den Ort erhalten würde, hier im Ziegelbau gehen die Lichter aus, mal wieder. Der Cappuccino schmeckt klasse, hinterlässt aber auch einen faden Beigeschmack: „Macht es Sinn, vier Jahre in Innovation zu investieren, wenn es nicht weitergeht?“ Mein Eindruck als Redakteur: Hier hat Kirche noch Hausaufgaben zu machen – oder wie Jonte, verschmitzt sagen würde: Kirche verkaufe Haus und Hof. Steig ab von den Pferden, die schon lange tot sind, die du zu heiligen Kühen gemacht hast, und beschreite mutig Wege, um Kirche bei den Menschen zu sein.
Fotos: Rüdiger Jope, Knut Burmeister
AUTORIN · AUTOR

Rüdiger Jope (Jg. 1969) ist gebürtiger Sachse, aufgewachsener Hesse, eingeheirateter Schwabe und heimatgewordener Westfale. Der gelernte Werkzeugmacher, studierte Theologe und Sozialpädagoge verantwortet als Chefredakteur im SCM Bundes-Verlag das Kirchenmagazin 3E und das Männermagazin MOVO „Was Männer bewegt. Was Männer bewegen“. Der Freizeitläufer lebt zusammen mit seiner Frau Ingrid und den zwei Kindern in Wetter/Ruhr.
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